Revolutions Radtour – das Ende der Monarchie in Berlin
Orte der Revolution 1918/19
1918 – der Erste Weltkrieg ist schon lange nicht mehr zu gewinnen, die Menschen hungern, sind des sinnlosen Sterbens überdrüssig. Nachdem es schon im Vorjahr nach der russischen Oktoberrevolution erste Streiks gegeben und die SPD sich unter dem stärker werdenden Druck der Kriegsgegner gespalten hatte, spitzte sich die Lage im Herbst des Jahres 1918 zu.
Letztlich das Fass zum Überlaufen brachte ein Befehl vom 24. Oktober. In einem letzten heroischen Aufbäumen sollte die Marine auslaufen und gegen die haushoch überlegene englische Flotte in die Schlacht ziehen, während zeitgleich schon um Frieden verhandelt wurde. Eine solche Schlacht hätte vermutlich in einem Blutbad mit tausenden Toten und der de-facto Zerstörung der gesamten verbliebenen Marine geendet. Weil die Marineführung das wusste, aber offensichtlich nach 4 Jahren weit gehender Untätigkeit wenigstens im Untergang noch mal laut „Hurra“ schreien wollte, sagte man der seit wenigen Wochen im Amt befindlichen Regierung, an der auch die Sozialdemokraten mitwirkten, einfach nicht Bescheid. Verständlicherweise sahen die kriegsmüden Matrosen überhaupt nicht ein, sich derart sinnlos verheizen zu lassen, damit irgendein adliger Offizier seinem kruden Ehrbegriff gerecht wird.
Nach der ersten Demonstration am 6.11.1918 in Wilhelmshaven bei Untersuchungsgefängnis Königstr[aße]
Zentralbild, Archiv
Am 5. November 1918 hatten Matrosen in Wilhelmshafen den Aufstand vorbereitet. Am 6. November morgens überwältigten sie die Wachen und bewaffneten sich. Über 10.000 Matrosen und Soldaten, denen sich die Werftarbeiter anschlossen, demonstrierten durch die Straßen der Stadt, befreiten ihre gefangenen Kameraden aus den Arrestanstalten (Auf dem Bild: Revolutionäre Matrosen nach der Erstürmung des Gefängnisses in der Königsstraße) und forderten die Errichtung einer sozialistischen Räterepublik. (am 6.11.1918)
Der nun folgende Aufstand weitete sich zur
Revolution aus, dessen vorläufiger Höhepunkt am 09. November, jenem seltsamen Schicksalstag der Deutschen, stattfand; der Abdankung Kaiser
Wilhelms II. und der gleich zweifachen Ausrufung der Republik. Damit endete nicht nur für das Land sondern insbesondere auch für Preußen und Berlin, die fast 500-jährige Herrschaft der Hohenzollern, auch wenn die dieser Tage wieder von sich reden machen, mit Forderung nach Rückgabe der erst 1945 enteigneten Kunst (frech, aber leider rechtlich nicht ganz unkompliziert).
Nun wollen wir hier jetzt keine wissenschaftliche Abhandlung über die Revolution von 1918/19 liefern, dazu gibt es großartige Bücher und zum Beispiel auch ein
wunderbares Heft der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB), das ich jedem Interessierten ans Herz lege. Stattdessen nehmen wir Euch mit auf eine kleine
Radtour zu einigen Schauplätze jener Tage. Zu verdanken haben wir die Tour und die Vorbereitung unserem Kollegen Klaus, der im vergangenen Jahr viel mit dem Thema zu tun hatte und uns schon zum Anfang des Sommers auf eine Weiterbildungs-Runde mitgenommen hat – und sich dafür sogar eine stilechte Matrosenmütze aufgesetzt hat.
AEG/Schwartzkopff – Start im Roten Wedding
Nach dem Start in der
Kulturbrauerei zieht es uns erstmal Richtung Nordwesten zur alten AEG-Fabrik in der Voltastraße. Die von Peter Behrens entworfenen Hallen gelten als herausragendes Beispiel von Industrie-Architektur. (Mit der
Wissenschaftstour waren wir auch da). Hier im „roten Wedding“ einem der klassischen Berliner Arbeiterbezirke legten Tausende nicht nur bei AEG die Arbeit nieder und zogen zu den umliegenden Kasernen Richtung Innenstadt. Neben der Aufforderung an die Soldaten „
Brüder, schießt nicht“, forderten die Arbeiter auf Transparenten Brot, Frieden und Demokratie – nicht unbedingt in dieser Reihenfolge oder Gewichtung.
Die Hallen der AEG im Wedding, eine der Keimzellen der Revolution von 1918 in Berlin
Maikäferkaserne – die ersten Toten
Eines der Ziele dieses Protestmarsches war die Kaserne des Garde-Füsilier-Regiments, wegen deren Uniformen auch Maikäferkaserne genannt. Der Versuch die Kaserne zu stürmen wurde jäh unterbrochen, als ein Offizier das Feuer auf die Demonstranten eröffnete und für die ersten drei Todesopfer der Revolution vom 9. November sorgte. Neben Erich Habersath, einem der spartakistischen Obleute, die den Zug organisiert hatten, ließen auch der Gastwirt Richard Glatte und der Monteur Franz Schwengler ihr Leben. Insgesamt forderten die Ereignisse des Tages 15 Todesopfer, angesichts der Tatsache dass Hunderttausende auf den Straßen waren, viele von ihnen bewaffnet, eigentlich eine erstaunlich niedrige Zahl. Herrn Habersath wurde 1951 die späte Ehre der Umbenennung der Kessel- in die Habersathstraße zuteil, an der sich heute die neue BND-Zentrale befindet.
Maschinengewehrfeuer an der Invalidenstraße
Auch am nächsten Stopp unserer Radtour begegnen uns die Füsiliere wieder und erneut floss Blut. Am 6. Dezember 1918 stößt ein Demonstrationszug gegen Abend auf eine von „regierungstreuen“ Truppen errichtete Straßensperre. Wie genau es zum anschließenden Feuergefecht kommt, ist unklar, wobei die offizielle Erklärung des Militärs, es seien zuerst Schüsse aus der Menge abgefeuert worden, als unglaubwürdig gilt. Unbestritten ist, dass die Soldaten mit einem schweren Maschinengewehr in die Menge feuern und am Ende 16 Tote auf Chaussee- und Invalidenstraße liegen, darunter eine gerade einmal 17-jährige Unbeteiligte.
Neubau an der Ecke Chausseestraße/Invalidenstraße wo am 6. Dezember 1918 ein schwerer Zusammenstoß zwischen Arbeitern und Soldaten eines Garde-Füsilier-Regiments insgesamt 16 Todesopfer forderte.
Leichenschauhaus der Charité – Kollwitz zeichnet Liebknecht
Im Leichenschauhaus der Charité in der Hannoverschen Straße landeten naturgemäß die Opfer politischer Gewalt ebenso wie die „normaler“ Gewaltverbrechen. Prominentester „Gast“ war der am 15. Januar 1919 ermordete Sozialistenführer Karl Liebknecht. Liebknecht, eine der treibenden Kräfte des radikalen Spartakusbundes, war erst am 25. Oktober 1918 aus der Haft entlassen worden, um schon am 9. November die Sozialistische Republik auszurufen, nicht einmal, sondern zwei Mal, wobei das berühmte Foto, das ihn auf einem Balkon des Schlosses zeigt, nachträglich gestellt wurde. Liebknecht hat sich in den folgenden Wochen, durch seine wenig kompromissbereite Haltung nicht nur die Reaktionären und Konservativen zum Feind gemacht, sondern auch den pragmatisch veranlagten Teil der Sozialdemokratie. Schon ab Dezember 1918 kursierten Plakate und Flugblätter mit recht eindeutigen Mordaufrufen. Spätestens ab Anfang Januar versteckten sich Liebknecht und seine (politische) Gefährtin Rosa Luxemburg in verschiedenen Privatwohnungen, bevor sie am 15. Januar schließlich von Mitgliedern der Wilmersdorfer Bürgerwehr festgenommen und ans Militär überstellt wurden. Bei einem nächtlichen Autotransport täuschten die hochrangigen Wärter eine Autopanne am Rand des Tiergartens vor – wenig später wird Liebknecht durch einen Kopfschuss aus nächster Nähe hingerichtet, Rosa Luxemburg stirbt nur Stunden später. Auf Wunsch der Familie Liebknecht machte sich Käthe Kollwitz auf in die Leichenhalle, um ein letztes Portrait des Revolutionärs zu zeichnen.
Gedenkblatt für Karl Liebknecht in der dritten endgültigen Fassung, Ausführung als Holzschnitt.
Alexanderkaserne
Zurück in den November und zur Alexanderkaserne an der Spitze der Museumsinsel direkt gegenüber des
Bodemuseums, Am Kupfergraben. Hierher wurde zum Schutz vor den aus Norden anrückenden revolutionären Matrosen kurz zuvor das 4. Jäger-Bataillon aus Naumburg verlegt, eine der Elitetruppen des Kaiserreichs. Unmut machte sich breit angesichts der Vorstellung schon wenig später auf die eigenen Landsleute, Zivilisten dazu, schießen zu sollen, also entsandten die Soldaten einige Vertreter in die SPD-Zentrale. Der Abgeordnete und spätere
Stadtkommandant Otto Wels schließlich erklärt sich bereit die Soldaten in die Kaserne zu begleiten, um die Einschätzung der Regierung zu erklären. Würden sich die Soldaten auf die Seite des Aufstands stellen oder der alten Ordnung die Treue halten? In einer flammenden Rede wendet sich Wels an die Truppe: „Es ist eure Pflicht den Bürgerkrieg zu verhindern! Ich rufe euch zu: Ein Hoch auf den freien Volksstaat!“. Mit Erfolg – die Soldaten weigerten sich, gegen die Demonstranten vorzugehen und schlugen sich auf die Seite der Revolution.
Kurzer Stopp zwischen ehemaliger Alexanderkaserne und Bodemuseum.
Die erste Vollversammlung im Circus Busch
Am 10. November findet im Circus Busch (James-Simon-Park, die Grünfläche auf der anderen Spreeseite von der Alten Nationalgalerie), von dem heute leider nichts mehr zu sehen ist, die erste Vollversammlung der Berliner Arbeiter- und Soldatenräte statt. Die 3.000 Delegierten legitimieren die von Friedrich Ebert am Vortag gebildete provisorische Reichsregierung.
Das Berliner Stadtschloss ist natürlich auch bei unserer regulären Sightseeing Radtour immer Teil des Programms, allerdings geht es da meist eher, um so Dinge wie den Berliner Unwillen und den Abriss des Palasts der Republik. Wie schon erwähnt, hat aber zumindest ein Portal des Schlosses eine ganz besondere Bedeutung als Schauplatz des Ausrufs der sozialistischen Räterepublik durch Karl Liebknecht. Das fanden die real-existierenden Sozialisten der SED wichtig genug, um beim Abriss des Schlosses, eben jenes Portal zu retten, in Kisten zu packen und etliche Jahre später im Neubau des Staatsratsgebäudes original wieder einzubauen. Das sorgt in der Gegenwart für die leicht absurde Situation, dass es dieses Portal jetzt doppelt gibt; einmal als Original im modernen Staatsrat, einmal als Rekonstruktion im gefaketen Schloss, dem künftigen Humboldtforum.
Die Revolutions-Radtour im James-Simon-Park, ehemaliger Standort des Circus Busch
Weihnachten 1918, genauer gesagt der 23. Dezember, wird zum blutigsten Kapitel der Revolution mit Schauplätzen rund um das Schloss. Die Situation war insgesamt extrem unübersichtlich mit verschiedenen Einheiten des Militärs die verschiedene Ziele verfolgten bzw. sich unterschiedlichen Fraktionen angeschlossen hatten. Eine besonders radikale Einheit war die in Schloss und Marstall untergebrachte Volksmarinedivision. Wegen derer unklaren Haltung gegenüber der Regierung und Vorwürfen des Kunstdiebstahls sollte diese aufgelöst werden. Aus Protest zogen die Soldaten mit einer Maschinengewehreinheit zum Preußischen Herrenhaus. Daraufhin verweigerte ihnen Stadtkommandant Otto Wels den Sold, so kurz vor Weihnachten ein Affront, den sich die Revolutionäre nicht gefallen lassen wollten. Nach ersten Feuergefechten, denen zwei Matrosen zum Opfer fielen, besetzten diese die Kommandantur und setzten Wels selbst fest. Die einzigen regierungstreuen Truppen, derer Friedrich Ebert habhaft werden konnte, war eine illegal formierte Einheit des sogenannten Generalkommandos unter Arnold Lequis. In der an Heiligabend folgenden Schlacht stellten sich zahlreiche Arbeiter auf die Seite der Matrosen und Eberts Truppen erlitten eine heftige Niederlage – am Ende starben über 70 Menschen. Die „Blutweihnacht“ hatte weitreichende Folgen. Die Matrosen erhielten ihr Geld, Wels dankte ab und die Regierung aus SPD und USPD zerbrach, wobei es zahlreiche Stimmen gibt, die vermuten, dass ebendies Eberts Ziel war und er die Situation bewusst eskalieren ließ, um die unliebsamen „Unabhängigen“ loszuwerden.
Auf dem Hof des Großen Marstalls in Berlin Mitte
Im Lustgarten gegenüber vom Stadtschloss, von einem dessen Balkone Karl Liebknecht die Räterepublik ausrief.
Fahrradguide Klaus mit Matrosenmütze auf unserer Radtour zu den Schauplätzen der Revolution von 1918.
Blick von der Friedrichbrücke Richtung Süden, links das Alte Museum, rechts die Kolonnaden der Museumsinsel.
Humboldt-Universität – Einstein spricht vor
Obwohl ein Großteil der Berliner Studierenden konservativ-national und keineswegs revolutionär eingestellt war, proklamierte ein von nur 40 Studenten gebildeter Studentenrat am 11. November „Die Universität ist geschlossen. Die Angelegenheiten der Studierenden nimmt ein provisorisch gebildeter Studentenrat wahr.“ Selbst so hoher Besuch wie der von Albert Einstein, Max Born und Max Wertheimer, konnte die Studenten nicht davon überzeugen im Namen der Freiheit der Wissenschaft den Betrieb wieder aufzunehmen und vor allem die zuvor als konterrevolutionär festgesetzten Professoren frei zu lassen. Erst das direkte Eingreifen des neuen Regierungschefs Ebert bewirkte die Freilassung.
Am Bebelplatz, v.l.n.r. Staatsoper, St. Hedwig, Hotel de Rome – die ehemalige Dresdner Bank und die juristische Fakultät der HU – vormals die königlich-preußische Bibliothek.
Pariser Platz – Beginn der Dolchstoßlegende
Natürlich war auch das
Brandenburger Tor bzw. der Pariser Platz ein wichtiger Schauplatz. Das Brandenburger Tor wurde durchaus schon damals als Symbol nationaler Einheit gesehen und war daher ein passender Ort, um die rückkehrenden Truppen im Dezember 1918 hier mit allem Pomp und Ehren zu empfangen. Während viele Berliner jubelnd und erleichtert am Straßenrand den Soldaten zuwinken, hält Friedrich Ebert, eine später vielzitierte Rede, die er sich im Nachhinein wohl besser hätte sparen sollen.
„Kein Feind hat Euch überwunden. (…) Ihr habt die Heimat vor feindlichem Einfall geschützt, Ihr habt Euren Frauen und Kindern, Euren Eltern den Mord und Brand des Krieges ferngehalten, Deutschlands Fluren und Werkstätten vor Verwüstung und Zerstörung bewahrt.“
Ziemlich starker Tobak, wenn man bedenkt, dass das Deutsche Reich am Kriegsausbruch maßgeblich mitschuldig war. Diese Aussage in Kombination mit den harschen Bedingungen des Versailler Friedensvertrag, waren Keimzelle der sogenannten Dolchstoßlegende. Angeblich „im Felde ungeschlagen“ sind die heldenhaften deutschen Soldaten von der SPD verraten worden. So zumindest die Erzählung der Rechten während der Weimarer Republik. Perfekter Nährboden für Hitler und seine NSDAP. Natürlich ist diese Erzählung von vorne bis hinten Unsinn, die SPD ist in einer aussichtslosen Situation eingesprungen, hat sich aus Staatsräson und in der Hoffnung, wirklich etwas für die Arbeiterschaft und die Soldaten erreichen zu können, bereit erklärt die Suppe auszulöffeln, die die Hohenzollern und das Militär dem Land eingebrockt hatten. Zu gewinnen war dieser Krieg spätestens seit 1917 auch aus Sicht der Heeresleitung nicht mehr.
Preußischer Landtag – die Geburt der Weimarer Republik
Die zumindest für den Autor dieser Zeilen letzte Station unser kleinen Revolutions-Radtour war der Preußische Landtag, Geburtsort der Weimarer Republik. Nach dem 09. November hatten überall im Lande Arbeiter- und Soldatenräte die Macht vor Ort übernommen. Am 16. Dezember nun entsandten diese Räte insgesamt 500 Delegierte zum im Landtag tagenden Reichskongress, um über die zukünftige Staats- und Regierungsform des Landes zu entscheiden. Schnell war klar, dass die Mehrheit für die Einrichtung einer parlamentarisch-repräsentativen Demokratie war, während die Verfechter eines Rätesystems nach sowjetischem Vorbild eindeutig in der Minderheit waren. Die provisorische Regierung unter Friedrich Ebert wurde bestätigt und mit der Durchführung von allgemeinen und freien Wahlen zur Nationalversammlung beauftragt. Diese Wahl war die erste wirklich demokratische in Deutschland.
Wie schon gesagt, ist dies nur ein erster kurzer Anriss des Themas. Mehr Orte und Geschichten findet ihr auf der wunderbaren Website:
https://100jahrerevolution.berlin/, auf die ich mich, neben anderen Quellen wie dem schon erwähnten Heft der BpB, für diesen Beitrag maßgeblich gestützt habe.
Wenn ihr – als Firma, Schulklasse oder Verein – an einer Spezialtour, egal zu welchem Thema interessiert seid, sprecht uns einfach an. Gerne organisieren wir für Euch Themenradtouren als
Private Tour mit eigenem Guide und komplett nach Euren Wünschen.