Zwischen Hochbahn und Kraftwerk – Wie Berlin zur Metropole wurde

Eine Radtour durch Berlins Industriekultur mit Axel von Blomberg
Über den Autor: Wir freuen uns über diesen Gastbeitrag von Axel von Blomberg, langjähriger Berliner Radtourenleiter und Kenner der Berliner Industriekultur. Schon zu Mauerzeiten hat er die Menschen in Berlin (West) aufs Rad gelockt – mit einer Mischung aus spannenden Geschichten und Geheimwegen, die selbst Einheimische überraschen.
Technikmuseum & Gleisdreieck
Wir treffen uns am Technikmuseum – unten brausen die Autos vorbei, über uns donnert auf Stelzen die Hochbahn, am Museum schwebt ein Flugzeug. Dazwischen quert ein Steg den Kanal, darunter rauscht die U-Bahn. Diese faszinierende und verwirrende Verkehrskulisse ist ein Hinweis auf den Fortschritt um 1900, als Berlin zur Metropole wurde. Anderswo war die Bahnschranke zu – in Berlin rollte der Verkehr sogar durch Häuser durch, wenn es nicht anders ging.

Hochbahn-Brücke über dem Landwehrkanal vor dem Technikmuseum. Foto: Emma Wijninga
Die U-Bahnstation am Museum heißt Gleisdreieck, ist aber heute ein Kreuzungsbahnhof auf zwei Ebenen, also ein Gleisviereck. Das Dreieck führte 1908 zu einer verhängnisvollen Parallelfahrt zweier Bahnen, bei der ein Wagen 10 Meter in die Tiefe stürzte und 18 Menschen starben. Wir rollen sicher mit unseren Rädern durch den Park am Gleisdreieck, über uns quietschen die U-Bahnen hoch oben in den Kurven.
Maggi-Haus
Unser erster Stopp ist der Hinterhof des Maggi-Hauses. Wer kennt sie nicht, die Tütensuppen und kleinen braunen Maggi-Fläschchen, die seit Generationen in deutschen Küchen stehen? Julius Maggi war ein Pionier der industriellen Lebensmittelherstellung. Als Kind hatte ich oft einen empfindlichen Magen – da half oft nur Haferschleim mit einem Spritzer Maggi. Heute bin ich froh, dass ich mich besser ernähre.

Im Hof des Maggi-Hauses. Foto: Axel von Blomberg
Pumpstation VII des Radialsystems
Wir radeln weiter zu einem Ort, der eine wichtige Rolle für die Gesundheit der Berliner spielte: einem Abwasserpumpwerk. Um 1900 sinkt endlich die hohe Sterblichkeit in Berlin, weil Trinkwasser und Abwasser von da an zentral organisiert und behandelt werden. Vorher war das Plumpsklo im Hinterhof Standard und die Frischwasserpumpe lag nicht weit entfernt am Straßenrand – hygienisch eine Katastrophe. Das Abwasser wird nun mit elektrisch betriebenen Pumpen auf Feldern vor der Stadt verrieselt. Heute könnt ihr zum Beispiel im Raum Berlin-Buch zwischen den alten Rieselfeldern schön wandern oder radeln gehen. Und mittlerweile ist die Alte Pumpe eine Event-Location, die ihr für Feiern mieten könnt.

Oldtimer an der Alten Pumpe. Foto: Axel von Blomberg
Umlauftank 2 – Versuchsanstalt am Kanal
Nun radeln wir weiter zwischen Landwehrkanal und Zoo, hier weht uns der Duft der Tiere entgegen. Von Zeit zu Zeit schreit ein exotischer Vogel auf. Am westlichen Ende des Tiergartens steht mitten im Kanal ein blaues Ungetüm mit rosa Röhren. Was kann das wohl sein? Nun ihr kennt vielleicht diese dicken Unterwasserknollennasen, die heutige Schiffe am Bug haben. Solche Schiffsdesigns und -technik werden hier getestet, die Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau gibt es hier schon seit Kaiserzeiten. Wilhelm II, der Kaiser, der geradezu verliebt in alles Maritime war, bestimmte höchstpersönlich diesen Standort.

Der markante Umlauftank 2 der ehemaligen Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau am Tiergarten – ein Pop-Art-Industriedenkmal. Foto: Andreas Franz Xaver Süß.
Kraftwerk der Technischen Universität Berlin
Nun biegen wir durch eine kleine Pforte in den Garten der Technischen Universität in Charlottenburg ein. Hier erwartet uns allerlei Skurriles: Da ist zum Beispiel das Kesselhaus des Uni-eigenen Kraftwerks. Das brauchte man Ende des 19. Jahrhunderts, weil man Strom zwar produzieren, aber noch nicht über lange Strecken transportieren konnte.

Kraftwerk der Technischen Universität Berlin. Foto: Axel von Blomberg
Im Garten der TU Berlin
Ein paar Schritte weiter entdecken wir ein Gleis mit jeder Menge Weichen und Signalen – hier übten einst angehende Eisenbahner. Direkt danach fallen die originalen Arkaden der Borsigschen Lokomotivwerke ins Auge, die früher die Fabrik von der Straße abgrenzten. Doch das war noch nicht alles: hier steht auch eine große Säule des alten Berliner Schinkeldoms und etwas weiter zwei kleinere Säulen des früheren Charlottenburger Zollhauses. Was hat es mit dieser wilden Säulenmischung auf sich, die eines städtischen Museums würdig wäre? Bingo, that‘s it! Die Architekturstudenten sollen hier beim Verzehr ihres Pausenbrots die drei unterschiedlichen Kapitellformen – dorisch, ionisch, korinthisch – direkt vor Ort sehen und unterscheiden lernen.

Bogenhalle der ehemaligen Borsig-Werke im Garten der TU Berlin. Foto: Axel von Blomberg

Architekturunterricht zum Anfassen – Dorische Säulen des alten Charlottenburger Zollhauses im Garten der TU Berlin. Foto: Axel von Blomberg
Kraftwerk Charlottenburg und Kraftwerk Moabit
Wir rollen weiter am Landwehrkanal, bis er sich mit der Spree vereint. Der prächtig geschmückte Siemenssteg führt auf die andere Seite zum Komplex des Kraftwerk Charlottenburg. Das älteste Gebäude hier stammt aus der Zeit um 1900, ebenso wie das Kraftwerk Moabit, das wir später am Spandauer Schifffahrtskanal sehen werden. Wir spüren besonders bei den beeindruckenden, älteren Teilen der Bauten, den Stolz auf die damals völlig neue Technologie der Elektrizität. Gleichzeitig sollten wir auch die Schattenseiten des Fortschritts nicht vergessen: Dicker Rauch aus den Schornsteinen der Kraftwerke verschmutzte damals die Berliner Luft.

Fahrradgruppe am Kraftwerk Charlottenburg. Foto: Axel von Blomberg
Haltet mal die Hände über die Stirn und schaut euch die imposante Maschinenhalle des Kraftwerk Moabit an. Sie ist heute eine beliebte Event-Location – perfekt für Euer nächstes Familienfest! Es gibt so viele geile Plätze in Berlin.

Maschinenhalle des Kraftwerks Moabit. Foto: Axel von Blomberg
Ein Blick zurück
Wenn ich mir diese Zeit um 1900 vorstelle – all die neuen Erfindungen gleichzeitig, elektrisches Licht, neue Formen der Mobilität – das muss eine aufregende Zeit gewesen sein! Berlin war damals als frisch gebackene Hauptstadt des Reiches der ideale Nährboden für alles Neue aber immer noch verkleidet in der Pracht des Alten.
🚴♀️ Tourinfo: Berliner Industriekultur per Rad erleben
Die vorgestellten Orte sind Teil der Radtour „Innovation & Eleganz“ – eine von acht spannenden Thementouren durch Berlins Industriegeschichte.
- 🛣️ Länge: ca. 23 km
- ⏱️ Dauer: ca. 5 Stunden (davon etwa 2,5 Stunden reine Fahrzeit)
- 📍 Start & Ziel: Deutsches Technikmuseum, Berlin-Kreuzberg
🔗Mehr Infos zur Route findet ihr hier
Wir waren auch schon auf einer anderen Radroute auf den Spuren der Berliner Industriekultur unterwegs – der Tour “Warmes Licht & Kühles Bier”. Eindrücke davon findet ihr hier. Schreibt uns gerne eine Email, wenn ihr Lust habt, eine dieser Radtouren einmal mit einem ortskundigen Guide zu erleben.
Die „Radrouten der Berliner Industriekultur“ sind ein Projekt des Berliner Zentrum Industriekultur (bzi)