Ein Schloss für die Republik
Eine Architekturkritik von Philipp Zimmermann
Wir bedanken uns bei Philipp Zimmermann für diesen wunderbaren Gastbeitrag. Philip ist Betreiber des Berlin-Blogs Under The Linden, wo er regelmäßig stadthistorische Themen hauptsächlich in englischer Sprache behandelt. Der Artikel spiegelt nicht die offizielle Meinung von Berlin on Bike wider, hauptsächlich weil es so etwas bei uns gar nicht gibt und wir unseren Mitarbeitern nicht vorschreiben, wie sie etwas zu finden haben, aber im Großen und Ganzen werden viele Kollegen dem Gesagten mehr oder weniger zustimmen.
Im Zentrum Berlins werden momentan Tatsachen geschaffen:
Auf Grundlage eines Bundestagsbeschlusses vom 4. Juli 2002 und eines Architektenwettbewerbs von 2008 wird am ehemaligen Standort das historische Stadtschloss wiederaufgebaut – oder besser gesagt, ein neues Gebäude, das im Aussehen und in seiner Kubatur teils jenem historischen Schloss entspricht. Die Entstehungsgeschichte dieses Gebäudes wurde von Diskussionen und Kritik begleitet, es polarisiert bis heute. Ist der Wiederaufbau sinnvoll?
Um dies besser beurteilen zu können und um zu wissen um was für ein Gebäude es sich beim Originalschloss genauer handelte im Folgenden einige historische Fakten. Der Originalbau hatte die Geschichte von 500 Jahren erlebt. Er war von Beginn an Residenz der Hohenzollern, jener Adels-Dynastie, die die Geschichte Brandenburgs, Preußens und später Deutschlands in zuletzt unheilvoller Weise maßgeblich geprägt hat. Neben dem Leben am Hofe spielten sich im Gebäude und seiner näheren Umgebung auch bedeutende Ereignisse ab.
So z. B. die Märzrevolution 1848 oder die Revolution 1918, als die Monarchie zusammengebrochen war. Die Umgebung des Schlosses war immer wieder Schauplatz von Massenkundgebungen, sei es zu Zeiten der Monarchie, in der Weimarer Republik, der Nazizeit oder der DDR.
Neben der geschichtlichen hatte das Schloss auch große kunsthistorische Bedeutung: Im Laufe der wechselnden Regentschaften erfuhr es vielerlei Umbauten und Erweiterungen, wodurch sich hier viele bedeutende Baumeister verewigten. Hierzu gehören Caspar Theiss, Johann Arnold Nering, Andreas Schlüter, Eosander von Göthe und Stüler um nur einige zu nennen. Schlüter prägte dabei Anfang des 18. Jahrhunderts das Aussehen des Schlosses am nachhaltigsten mit seinen Barockfassaden. Nach seiner Handschrift wurden auch später alle Fassaden außer der östlichen gestaltet. Mitte des 19. Jahrhunderts war das Aussehen des Schlosses, so wie wir es heute kennen, mit dem Bau der Kuppel über dem sogenannten Eosanderportal weitgehend fertiggestellt.Im Alltag war das Schloss ebenfalls präsent: So waren seine Portale z. B. lange Zeit für die Bürger geöffnet, die durch seine Höfe schlendern konnten und im Winter gab es Weihnachtsmärkte vor dem Schloss. Zerstörungen erlebte das Schloss zu verschiedenen Zeitpunkten: So wurde beim sogenannten “Berliner Unwille“ im 15. Jahrhundert die Schlossbaustelle geflutet, weil die Bürger um ihre Selbständigkeit fürchteten. Nach Ende des 1. Weltkrieges kam es zu Plünderungen im ungeschützten Gebäude. Auch gab es Zerstörungen durch Beschuss. Das mit Abstand verheerendste Ereignis war aber ein Bombenangriff im Februar 1945. Die Brände hinterließen nur wenige Räume unversehrt, allerdings standen die Fassaden weitgehend noch. Ab 1949 gehörte die Stadtmitte mit dem Schloss zum Staatsgebiet der DDR, 1950 wurde seine Ruine schließlich Stück für Stück beseitigt. Einzig das Portal,
von dem Liebknecht 1918 die Sozialistische Republik ausgerufen hatte, wurde erhalten und in das Staatsratsgebäude integriert.
Man kann aufgrund seiner langen Geschichte und seiner kunsthistorischen Bedeutung berechtigterweise von einem der bedeutendsten, wenn nicht dem bedeutendsten Bauwerk Berlins sprechen. Das Original ist leider 1950 unwiderruflich verlorengegangen.
Rechtfertigen die vorgenannten Fakten eine Rekonstruktion? Ich denke nicht. Längere Zeit tendierte ich zu einem Ja. Doch inzwischen habe ich meine Meinung aus mehreren Gründen geändert:
Zum einen – die angesprochene politische Bedeutung des Ortes. Hier hatte sich das Fürstentum und dann die Monarchie repräsentiert, später die DDR mit dem Palast der Republik, der hier nach der Schlosssprengung auf eine temporär errichtete Tribüne folgte und inzwischen wieder abgerissen wurde. Nun hätte es nach der Wiedervereinigung die Gelegenheit gegeben, mit zeitgenössischer Architektur hier einen Ort zu schaffen, der für das vereinigte Deutschland eine Symbolfunktion erfüllen könnte. Solch ein Identifikationsort für die deutsche Demokratie hätte meiner Ansicht aber nur mit zeitgenössischer Architektur geschaffen werden können. Stattdessen wird eine Rekonstruktion durchgeführt, nicht etwa um die alte preußische
Ordnung wiederherzustellen (wenn dies auch möglicherweise im Sinne einiger Wiederaufbaubefürworter wäre), sondern mit eben der Argumentation, dass es sich um ein herausragendes Gebäude handelt, seine städtebaulichen Qualitäten hervorgehoben werden (worauf ich später noch eingehen werde) und nach meiner Vermutung auch etwas trotzig der in den Augen vieler Betrachter sündhafte Abriss der Schlossruine durch die sozialistische Diktatur rückgängig gemacht werden soll. Auch wenn mir dieser Trotz nicht unsympathisch ist: Er allein reicht an diesem geschichtlich so aufgeladenen Ort nicht als Rechtfertigung einer Rekonstruktion aus.
Mit dem jetzt zugrundeliegenden Konzept, dem sogenannten Humboldtforum, einer Nutzungsmischung aus Universität, Bibliothek, Berlin-Museum sowie den ethnologischen Museen wird daher meiner Ansicht nicht das erreicht, was mit mehr Mut hätte erreicht werden können. Davon abgesehen wird der Anspruch des Humboldtforums, ein Begegnungsort der Weltkulturen zu sein, nicht dadurch eingelöst, dass in die geplante Nutzungsmischung die ethnologische Sammlung der Museen Berlin-Dahlem einzieht. Jedenfalls bezweifle ich bei allem Respekt, dass das Zurschaustellen von Einbäumen und den Wohnstätten untergegangener Indianerkulturen hier zu einem fruchtbaren Dialog zwischen den heutigen Weltkulturen führen wird. Vielleicht ist dies aber auch nicht der Anspruch, und ich muss gestehen, dass mir genauere Details des Humboldt-Konzepts noch nicht bekannt sind. Daher werde ich meine Meinung gerne korrigieren, falls ich beim Besuch des neuen Museums mit seinen ohne Frage herausragenden Exponaten eines Besseren belehrt werde.
Zweitens – die städtebauliche Kubatur des Schlosses wird vorbehaltlos rekonstruiert. Das für den Wiederaufbau des Schlosses angeführte Argument der Bedeutung seiner städtebaulichen Kubatur stimmt für mich nur teilweise: Auch ich halte ein Gebäude an Stelle des Schlosses mit einer Fassade die in der Sichtachse der Straße Unter den Linden liegt für sinnvoll. Gleichzeitig kann ich aber anderen städtebaulichen Aspekten weniger abgewinnen: Das Schloss war zur Friedrichstadt ausgerichtet, die heute nicht mehr existente Altstadt östlich des Schlosses führte sozusagen ein Schattendasein im Rücken des Schlosses. Eine Einbindung dieser Seite wurde nie vollzogen. Entsprechende Planungen gab es allerdings sogar vom Schlossbaumeister Andreas Schlüter selbst, diese wurden jedoch nie umgesetzt. Im Hinblick darauf halte ich einen Entwurf des renommierten Architekten Stephan Braunfels, der mehrere Bundestagsbauten entworfen hat, für interessant: Er vertritt die Ansicht, dass man den östlichen, zum früheren Stadtzentrum ausgerichteten, ohnehin modern geplanten Gebäudeteil des Schlosses weglassen und den Schlüterhof mit seinen rekonstruierten Fassaden in Blickrichtung zum Fernsehturm ausrichten sollte. Ich glaube damit hätte das sogenannte Rathausforum, jenes teilweise
etwas öd anmutende Areal unter dem Fernsehturm, das einen Großteil der verschwundenen Altstadt bedeckt, viel gewonnen. Diese Möglichkeit besteht nun seit Fertigstellung des Rohbaus der Ostfassade des Schlosses nicht mehr.