Art Spin Berlin 2016
Eine Kunst-Radtour durch Wedding und Moabit
Bereits zum dritten Mal nach 2014 und 2015 lud die Initiative Art Spin Berlin zu einer gemütlichen Radtour zu Berliner Kunstorten und Künstlern. Das Konzept des Art Spin kommt ursprünglich aus Toronto und wurde von der Exilkanadierin Vanessa Brazeau für Berlin adaptiert. Natürlich organisiert Vanessa das Projekt nicht allein, sondern wird unterstützt durch eine ganze Reihe von Mitstreitern, Helfern und Sponsoren, zu deren exklusiven Kreis wir uns zählen dürfen. Nach einigen Querelen hinsichtlich der Genehmigung und damit der Begleitung durch die Verkehrslenkung der Stadt Berlin, kam die Zusage in diesem Jahr buchstäblich in letzter Minute zustande, so dass wir nicht nur von zwei Kollegen der Fahrradstaffel, sondern auch einigen motorisierten Ordnungshütern begleitet wurden, die mit ihren Motorrädern die Strecke für uns abgesperrt haben.
Da der Art Spin in diesem Jahr durch Wedding und Moabit (im Kommen – schon immer) führt, treffen wir uns am Invalidenpark. Zwischen Hauptbahnhof und Naturkunde Museum liegt diese kleine ursprünglich von Lenné entworfene Grünfläche, dominiert von einer beeindruckenden Wasserskulptur. Einem gigantischen Schiffsbug gleich, erhebt sich eine begehbare Rampe inmitten einer spiegelnden Wasserfläche. Vom Kopf der “Versunkenen Mauer” stürzt im ewigen Kreislauf (bzw. so lange sich der Bezirk, den Betrieb leisten kann) ein kleiner Wasserfall in die Tiefe und bildet den Hintergrund für unser Zusammentreffen.
Musik und Getränke werden natürlich mit dem Lastenrad bereit gestellt. An einem kleinen Tisch mit allerlei Tinnef wird das erste Werk des Abends vorbereitet. Ein Jeder konnte sich für die Teilnahme am allerersten Konzert des Berlin Bicycle Bell Orchestra registrieren. Nach kurzem Probeklingeln wird den Musikern eine Farbe zugeordnet. Angeleitet durch eine Dirigentin, halten eine Reihe von Leuten Schilder mit den entsprechenden Farben hoch und die passenden Klingeln werden betätigt. Gespielt wird, wie sollte es anders sein, “Bicycle Race” von Queen. Wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich zugeben, dass man es nicht wirklich erkannt hat – auch nicht mit viel Fantasie. Das lag vielleicht daran, dass einfach jeder dessen Farbe gezeigt wurde, nicht einfach EINmal seine Klingel geläutet hat, sondern vor lauter Aufregung bei dieser Premiere dabei zu sein, wild Sturm geklingelt hat.
Während wir munter klingeln und uns mit Getränken für den Weg versorgen, lässt sich die Künstlerin Daphna Westerman von anderen Teilnehmern das Radeln beibringen. Mit Ihrer Performance “From A to B” versucht sie so, mit Unterstützung der Teilnehmer des Art Spin ein Kindheitstrauma abzulegen. Wie erfolgreich das war, vermag ich leider nicht zu sagen. Mittlerweile haben sich geschätzt 2-300 kunstbeflissene oder zumindest -interessierte eingefunden und die Truppe bricht auf Richtung Norden.
Erster Stopp der Tour ist die Galerie Savvy Contemporary im Kunstquartier Silent Green. Angesiedelt ist das Projekt in einem Gebäude, dass ich schon lange auf der Liste zu stehen habe, dem ehemaligen Krematorium Wedding. Die Ausstellung “The Incantation of the disquieting Muse” war allerdings im Tiefparterre, so dass wir die große Halle nicht zu Gesicht bekommen haben. Hauptsächlich in Form von Installationen und Videokunst widmet sich die Ausstellung den westlichen Missverständnissen rund ums Übersinnliche. Das zumindest sagt die Broschüre, als bekennender Kunstbanause hätte ich ohne Hilfe nur vermuten können, es geht im Weitesten Sinne um Hexerei.
Nach einer knappen halben Stunde in den Gewölben brechen wir wieder auf, die Gruppe ist tendenziell noch gewachsen. Dementsprechend gemütlich geht es schön grün die Panke entlang weiter Richtung Norden. Unser nächstes Ziel sind die Höfe gegenüber dem ehemaligen Stadtbad Wedding, von manchen als Fabrik 23 bezeichnet. Hier hat der Verein PankeCulture seinen Sitz, betreibt Ateliers, eine Bar und Projekträume. Die Höfe sind in dieser Form mittlerweile eine echte Seltenheit in Berlin; weitgehend unsanierte Fassaden verbreiten den Charme des Verfalls und unendlicher Möglichkeiten.
Im zweiten Hof hatte der Mundharmonikaspieler Andyvazul sein “Instrument” Disharmonika aufgebaut. Disharmonika ist ein Chimäre zusammengestöpselt aus alten Mundharmonikas und anderen Instrumententeilen. Gekoppelt an eine Loopmachine entlockt der Künstler diesem Instrumentenzombie eine erstaunliche Vielzahl von Tönen, die uns bis zur Abfahrt durch den Hinterausgang begleiten.
Parallel führen Claire Waffel und Pere Ferrera Bertran ihre Performance Flow Instablities auf. Der Begriff ist der Strömungslehre entlehnt und wird hier als Metapher auf eine unsichere politische Situation angewendet, die sich im permanenten Fluss ohne klare Fließrichtung befindet. Drei Leinwände und Live-Musik bilden das eigentliche Werk, wobei eine der Leinwände von Claire live mithilfe eines Overhead-Projektors (ja so ein Ding aus der Schule für die faulen Lehrer) bespielt wird.
Im zunehmenden Abendrot gondeln wir gemütlich in die Rehberge um einer weiteren Performance des jamaikanischen Künstlers Zwoisy Mears-Clarke beizuwohnen. Ich muss gestehen, dass ich das Werk How to Greet like a Jamaican pt. 2 auch nach Lesen des Beipackzettels nicht verstanden habe. Zunächst rollt er eine lange weiße Stoffbahn entlang des Weges aus, an dessen Ende der Stoff zu einer Tischdecke wird. Der Tisch wird gedeckt, Zwoisy beginnt Essen auf dem Teller zu verteilen und sich das Essen in die Frisur zu stecken. Schließlich lädt er eine Frau aus dem Publikum ein, sich dazu zu gesellen. Die beiden schauen und schweigen sich an und irgendwann ist es vorbei und alle klatschen. Wie gesagt, verstanden habe ich es nicht, aber die Stimmung war schön feierlich.
Durch das mittlerweile nächtliche Berlin machen wir uns wieder auf Richtung Süden zu unserer vorletzten Station, der Jugendverkehrschule Moabit. Die hier gezeigte Performance Krötenwanderung ist für mich eindeutig DAS Highlight des Art Spin 2016. Während wir durch die “Straßen” des Geländes fahren, lauschen wir einem zunächst noch halbwegs ernst zu nehmenden Vortrag über die Gefahren denen sich Kröten beim Wandern aussetzen. Dann wird es zunehmend lustig und absurd. Die Lösung gleich mit; Mehr Selbstbewusstsein und keine Angst vor Autos und Finanzen. Auf der zentralen Kreuzung ist ein Cabrio geparkt, in dem drei Gestalten mit übergroßen Krötenköpfen sitzen und Ihr Selbstbild durch laszive Bewegungen und dem Verteilen von Bargeld aufpolieren. Das Ganze wird dann noch mit einer gehörigen Portion Kapitalismuskritik garniert und mit Nebel und Glitzer abgerundet. Herrlich – auch wenn ich mich gerade etwas schwer mit der Beschreibung tue. Wenn Euch also mal irgendwo die Künstlergruppe hannsjana begegnet, schaut Euch das unbedingt an.
Die anschließende Party mit Filmvorführung, lecker Essen und schöner Musik findet quasi direkt nebenan im Zentrum für Kunst und Urbanistik, kurz ZK/U statt.
Fazit: vom künstlerischen Programm her, bis auf den Abschluss, leider nicht ganz so spektakulär wie in den vergangenen zwei Jahren, allerdings hing die Messlatte auch sehr hoch. Für sich genommen aber eine insgesamt tolle Veranstaltung. Wir haben wieder eine Menge neuer Orte entdeckt oder alte mit neuen Augen betrachtet, alte Bekannte wieder getroffen. Wir freuen uns definitiv auf eine Wiederholung im nächsten Jahr. Wer nicht so lange warten möchte, könnte eine unserer Street Art Touren buchen, auch wenn die nicht ganz so spektakulär sind, wie dieses Event – dafür finden sie jede Woche statt und man entdeckt auch immer wieder Neues. Ein ähnliches Konzept wie der Art Spin verfolgen auch die unverblümt Kulturexpeditionen, allerdings seid Ihr da zu Fuß und ausschließlich in Wedding/Moabit unterwegs. Die nächste Ausgabe findet am 18. August statt.