Die Spitznamen-Verschwörung: schöne Grüße vom Telespargel!
Similar to the Bielefeld conspiracy, this blog post today is about things that actually don’t exist, but which everyone is still talking about – like Bielefeld. As so often, a conversation with our guests prompted me to write that something like this has already happened thousands of times. The topic was: Nicknames of Berlin sights and their actual use in Berlin vernacular.
Except for city guides and journalists looking for a crisp formulation for rather boring topics, almost no one uses these nicknames that are so often circulated.
ACHTUNG: Es spricht der Volksmund!
Aber lasst mich ruhig ein bisschen weiter ausholen. Der Berliner an sich ist schon ein Freund despektierlicher Neu-Benennungen seiner Umgebung. Meist geht es dabei um den unmittelbaren Kiez und eine simple Beschleunigung der Konversation; „Stutti“ sagt sich einfach schneller als Stuttgarter Platz. Außerdem spottet der Berliner für sein Leben gern, besonders wenn er damit der Obrigkeit auf die Füße treten kann. Das Berlinische allgemein ist ein Dialekt der arbeitenden Massen und war bis zur Gründung der DDR und damit der Idealisierung des Arbeiters ein Instrument der Abgrenzung – in beide Richtungen. So war es den Kindern in aufstiegsorientierten Familien bisweilen bei Androhung von Schlägen untersagt, “icke”, “ditte” oder “kiekma” zu sagen.
Soll heißen, es gibt diese Spitznamen und es gibt auch Menschen, die sie benutzen. Es sind bloß ganz andere, als die von Touristenführern und Schreiberlingen verbreiteten Begriffe. Natürlich weiß auch jeder “echte” Berliner (also etwa 1/4 der Bevölkerung) was gemeint ist, wenn von der “Schwangeren Auster“, der “Waschmaschine” oder dem “Langen Lulatsch” die Rede ist. Allerding kenne ich aber KEINEN EINZIGEN MENSCHEN, der die entsprechenden Gebäude nicht HKW/Kongresshalle, Kanzleramt oder Funkturm nennt. Also bitte vergesst diesen ganzen Quatsch, kein Berliner nennt die Fußgängerbrücke im Regierungsviertel zwischen Paul-Löbe- und Lüdershaus „gehobene Beamtenlaufbahn”. Für die meisten Berliner gibt es schlicht keinen Grund gibt, sich dort aufzuhalten oder auch nur darüber zu sprechen. Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor wird auch schon seit bestimmt 100 Jahren nicht mehr Retourkutsche genannt. Die geflügelte Göttin auf der Siegessäule als Goldelse zu bezeichnen, ist mithin eine der wenigen Ausnahmen von der Regel und wird durchaus auch von den Eingeborenen akzeptiert.
Manchmal entstehen diese Namen auch schlicht aus einer Weinlaune heraus einsam vorm PC. Das beste Beispiel und Argument für reichlich Skepsis liefert der Fall von “Stalins Badezimmer“. Diesen Kosenamen hatte der Journalist Andreas Kopietz (u. a. Frankfurter Rundschau und Berliner Zeitung) in einem Moment der Schwäche der geschichtsträchtigen Karl-Marx-Allee angedichtet. Schon kurze Zeit später fand sich der Begriff Stalins Badezimmer (manchmal auch -wanne) in diversen Publikationen wieder – von der Doktorarbeit über Wikipedia bis hin zum Reiseführer. Erst knapp anderthalb Jahre später klärt der Autor das Missverständnis öffentlich auf. Obwohl also längst klar ist, dass hier ein Scherzkeks am Werke war, gibt es immer noch Führungen, bei denen mit viel Selbstsicherheit behauptet wird, der Volksmund nenne das so (natürlich nicht bei BoB). Quatsch, Unsinn, Blödfug!
Bei genauerem Hinsehen finden sich indes durchaus Spitznamen, die schon so lange in Gebrauch sind, dass niemandem noch bewusst ist, dass es sich um Kosenamen handelt. Niemand würde zum Beispiel auf die Idee kommen, den „Bierpinsel“ Turmrestaurant Steglitz zu nennen, und der „Tränenpalast“ heißt heute sogar offiziell so. Und ob das gerade wiedereröffnete „Bikinihaus“ (“oben watt, unten watt und inner Mitte nüscht”) mal einen richtigen Namen hatte, weiß auch keiner mehr.
Weg von den Sehenswürdigkeiten wieder zurück zu Ortsbezeichnungen: Jeder Berliner weiß natürlich was mit Oberschweineöde gemeint ist, und selbst Ortsfremde könnten aus diesem Wortspiel schließen, dass Schöneweide nicht das Zentrum der Party-Metropole Berlin ist. Die Verwendung der Abkürzung Prenzl-Berg outet einen hingegen sofort als Wessi, der Osten kürzt wenn überhaupt mit P-Berg ab.
Einige Wortschöpfungen sind zunächst auf einzelne Freundeskreise beschränkt, so haben wir etwa die Imbiss-Meile am Schlesischen Tor früher “Bittschön-Promenade” genannt, weil der Mann am Dönerspieß grundsätzlich jedes Gespräch mit diesen Worten begann und auch beendete. Wenn ich die Gegend heute als “El Schlesinal” bezeichne, wissen ebenfalls nur Eingeweihte was gemeint ist, aber vielleicht ändert sich dass ja. Gebräuchlicher ist da schon die simple Verkürzung “Schlesi”. Gleiches gilt für “Kotti”, “Görli” und “Boxi”. Ist ja irgendwie auch niedlich und durch P.R. Kantates Sommerhit “Görli, Görli” bundesweit etabliert. Auch die “Castingallee” hat sicher mal so angefangen. Wobei mir persönlich mindestens drei Personen bekannt sind, die steif und fest behaupten, ihre Clique hätte als erste die Kastanienallee so bezeichnet. Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch fand der Begriff dennoch, spätestens mit der liebevollen Vertonung des Phänomens durch Rainald Grebe:
Zum Abschluss möchte ich die Lanze brechen für einen Kosenamen, der sich zumindest bei einigen Kollegen langsam beginnt durchzusetzen. Habt Ihr schon mal von der Trostpreisbrücke gehört? Gemeint ist der Neubau der Kronprinzenbrücke des spanischen Architekten Santiago Calatrava im Berliner Regierungsviertel. Der Architekt Norman Foster der allgemein als der Schöpfer der gläsernen Kuppel auf dem Reichstagsgebäudes gilt, gewann den damals abgehaltenen Architektur-Wettbewerb, aber mit einem Entwurf, der eigentlich ganz anders aussah:
Wie Ihr seht, weit und breit keine Kuppel in Sicht. Die Presse bzw. vom Umzug bedrohte Bonner Politker haben diesen Entwurf übrigens passenderweise “Reichstagstankstelle” genannt, aber das nur am Rande, weil’s so schön zum Thema passt. Eben jene Kuppellosigkeit wiederum hat dem damaligen Kanzler Helmut Kohl überhaupt nicht gepasst und mit der ganzen Macht, die ihm Amt und seine zwei Zentner verliehen, sprach er ein Machtwort: “Man verschaffe dem Reichstag eine Kuppel, am besten eine aus Glas, damit man rein gucken kann.”. Calatravas Entwurf mit Kuppel hingegen fand zwar lobende Erwähnung, aber gewonnen hatte er den Wettbewerb eben nicht. Um Gewinner und Nachplatzierten nicht beide vor den Kopf zu stoßen, bot man dem Spanier einfach die Gestaltung des ersten Brücken-Neubaus über die Spree nach 100 Jahren an. Ist jetzt auch nicht wirklich Mist, aber verglichen mit dem Reichstag nun mal nur der Trostpreis.
Habt Ihr noch Spitznamen, die Euch als Beleg für die lustigen und rotzfrechen Berliner untergejubelt wurden, oder die Ihr gerne mal in einem Reiseführer finden würdet? Immer her damit, gern auch auf Facebook. Wenn Ihr mehr über Berliner Sehenswürdigkeiten und ihre vermeintlichen Spitznamen wissen wollt, empfehlen wir unsere geführte Radtour “Berlin im Überblick”, die ideale Einsteiger-Runde für Erstbesucher und solche die schon länger in der Stadt sind aber endlich mal ein bisschen Geschichte(n) hören möchten.
Ride Safe!
Sasha