Schöneberger Schüsseln – Der Sozialpalast
Vom Sportpalast zum Pallasseum
Der Sozialpalast – oder wie das Gebäude heute offiziell genannt wird: Pallasseum – gehört zu einer der städtebaulichen und sozialpolitischen Erfolgsgeschichten, die es in Berlin leider viel zu selten gibt.
Das Pallasseum ist ein Gebäudekomplex nördlich des Kleistpark im Ortsteil Schöneberg. Während meiner Jugend in den späten 80ern, frühen 90ern wurde das Gebäude weniger spöttisch als abfällig Sozialpalast genannt. Der Palast war zwar keine „No-Go-Zone“ – zumal den Begriff damals keiner verwendet hätte – aber doch ein ziemlich übles Pflaster.
Irgendwo standen immer ein paar Jungs auf der Suche nach Ärger herum, am Wochenende gab es regelmäßige Polizeieinsätze, gelegentlich auch mal ein Blutfleck auf dem Bürgersteig, oder eine Leiche in der Mülltonne. Kurzum, keine wirklich kuschelige Ecke, bei deren Durchquerung man immer die Augen offen halten musste. Schon damals fand ich es verwunderlich, dass keine 200m weiter mit Goltzstraße und Winterfeldtplatz ein ganz unterschiedlicher Kiez entstanden war. Der war zwar alternativ und irgendwie links aber dennoch bürgerlich geprägt; mit Biomarkt, Kneipen und lebendiger Schwulenszene. An wenigen Stellen in Berlin waren oder sind unterschiedliche Lebenswelten derart trennscharf voneinander abgegrenzt wie in dieser Ecke.
Bevor wir uns der wundersamen Wandlung zum multikulturellen Musterkiez widmen, möchte ich gern die Hintergründe und Geschichte ein wenig beleuchten. Das Pallasseum ist nur die letzte Inkarnation eines Ortes, der – typisch für Berlin – auch kriegsbedingt immer wieder neu erfunden wurde.
Die glorreiche Zeit: 6-Tage-Rennen im Sportpalast
Vor gut 100 Jahren begann sich der dörfliche Charakter Schönebergs rasant zu verändern und wo eben noch Stadtvillen für die besser gestellten standen, wurde nun ein gigantischer Veranstaltungsbau errichtet, der Berliner Sportpalast. Nach einer ersten Pleite, wurde der Sportpalast in Berlins goldenen Zwanzigern zu einem wichtigen Teil der Sport- bzw. Kulturlandschaft. So sorgte die laut Wikipedia damals größte Kunsteisbahn der Welt für eine ungeahnte Popularität von Eishockey und Eisschnelllauf.
Großer Beliebtheit erfreuten sich auch die hier stattfindenden Boxkämpfe, z. B. von Max Schmeling oder dem „schrecklichen Türken“ Sabri Mahir, der damals ein eigenes Boxstudio am Kurfürstendamm betrieb.
Wahrhaft legendär sind jedoch die hier ausgetragenen 6-Tage-Rennen. In Zweierteams wurde jeweils 12 Stunden von Montag bis Samstag auf einem Holzoval mit Steilkurven um Rekorde und Platzierungen gestritten. Verglichen mit damals sind heutige Sport-Veranstaltungen eine schrecklich sterile Angelegenheit. Nicht nur, dass wie selbstverständlich weltmeisterlich Kette geraucht wurde, im ebenerdigen Innenraum der Rennbahn galt sogar ein Konsumationszwang – wer nicht soff, musste raus. Die Rennen waren gesellschaftliche Großereignisse. Wer was auf sich hielt, gönnte sich nicht nur eine eigene Loge, sondern stiftete standesgemäß Schmuck und Pelzmäntel für die Sieger. Dazu spielte das Orchester den Sportpalastwalzer, während „Krücke“ Habisch (http://de.wikipedia.org/wiki/Reinhold_Habisch) und Hunderte andere unter dem Dach mitpfiffen – irgendwann bekam „Krücke“ sein eigenes Mikrofon und ist von den Stehplätzen unterm Dach auf die Bühne umgezogen.
Propaganda, Zerstörung und Wiederaufbau, der Sportpalast nach 1933
Traurige und anhaltende Berühmtheit erlangte der Sportpalast durch eine Rede des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels. Im Februar 1943 schwor Goebbels in der bis heute so genannten Sportpalastrede seine Zuhörer auf den „totalen Krieg“ ein.
Mit Politik und Sport war ein knappes Jahr später Schluss. Auf den Tag genau elf Jahre nach der Machtübertragung an die Nazis am 30. Januar 1933 traf eine Bombe das Gebäude. Doch schon 1949 wurde der Sportpalast wieder aufgebaut und als Konzertarena genutzt. Auftritte von Pink Floyd, Jimi Hendrix oder Bill Haley lockten zwar viele Zuschauer, aber an seine glorreichen Zeiten konnte der Sportpalast nie wieder anknüpfen. Also entschloss man sich das Gebäude 1973 abzureißen.
Abriss und Neubau: der Sozialpalast
Bis 1976 errichtete der kürzlich verstorbene Architekt Jürgen Sawade den zunächst namenlosen Sozialpalast als Gegenentwurf zu den vernachlässigten und verfallenden Altbauten Westberlins. Auf teilweise 12 Stockwerken sind insgesamt 514 Wohnungen entlang langer Flure aufgereiht. Wie ein großer Riegel überspannt ein Gebäudeteil die Pallasstraße und einen Hochbunker. Dieser hatte sich vorher konsequent allen Abrissversuchen widersetzt und bildet heute quasi den südlichen Sockel des Komplexes. Zur Potdsamer Straße hin schließt das Pallaseum mit einer Reihe flacherer Nebengebäude ab.
Zunächst zogen neben Migranten und Geringverdienern auch eine ganze Reihe „Normalverdiener“ und „Mittelschichtler“ ein. Nach Einführung der Fehlbelegungsabgabe zogen jedoch nach und nach viele Mieter aus und Dealer und Kleinkriminelle übernahmen. Wo Drogen und Geld im Spiel sind, ist Gewalt nicht weit und so verschlechterte sich der Ruf immer weiter. Der Spitzname Sozialpalast kam den Berlinern immer leichter über die Lippen und so langsam wollte eigentlich niemand mehr da wohnen, der sich etwas Anderes leisten konnte. Ohnehin extrem unübersichtlich waren es nach Angaben der Polizei vor allem die vielen Ausgänge der miteinander verbundenen Gebäude, die ihre Arbeit damals erschwerten. Wenn ein mutmaßlicher Delinquent es irgendwie hineinschaffte war es quasi unmöglich Denjenigen noch zu stellen.
Satellitenschüsseln zur Wiedergeburt als Pallasseum
Zum Leerstand kam Ungeziefer und so wurde Ende der 90er ernsthaft über einen Abriss diskutiert. Dadurch aufgeschreckt entwickelte die Betreibergesellschaft ein neues Verwaltungskonzept. Das Quartiersmanagement bekam kostenfrei Räume im Haus, Zwischentüren werden eingezogen, Treppenhäuser und Küchen saniert und ein Namenswettbewerb ausgerufen. Als Ergebnis bekam das Haus den offiziellen Namen „Pallasseum“, der sich wider Erwarten nach einiger Zeit tatsächlich durchsetzen konnte.
Die bunten Satellitenschüsseln entstehen ab 2009 im Rahmen eines Projektes des Künstlers Daniel Knipping. „Von Innen nach Außen“ macht gewissermaßen aus einem Empfänger einen Sender. Was vorher ausschließlich nach Innen gerichtet war, wird nun zum Schaufenster nach außen. Mieter konnten kostenfrei individuelle Überzieher für Ihre Schüsseln ordern. Genau so vielfältig wie die Bewohner des Pallasseums – aktuell wohnen Menschen aus 25 Nationen hier – ist auch die Umsetzung des Projekts. Viele Bilder der eigenen Kinder oder der alten Heimat, des Traumwagens, kitschigen Rosen, mein persönliches Highlight aber ist das Antlitz eines südeuropäischen Schnurrbart-Trägers auf dem Körper der Mona Lisa. Interessant auch, dass durch die farbenfrohe Gestaltung der innere Wandel der Anlage nach Außen sichtbar gemacht wird. Seht her, scheint der Palast zu rufen, ich kann auch anders.
Natürlich ist das nicht Alles und sicherlich spielen auch ganz andere, sozio-demographische Effekte eine Rolle. Eine Vermutung, die sich mir aufdrängt ist, dass die wütenden und perpektivlosen jungen Männer, die Freizeit und Lebensunterhalt als Kleinkriminelle verbracht haben, einfach aus dem Alter rausgewachsen sind, in dem man sich so die Zeit vertreibt.
Woran auch immer es im Endeffekt liegt: dass heute einer der örtlichen Polizisten sein Revier als „gemütlich und nachbarschaftlich“ bezeichnet, hätte ich mir niemals träumen lassen. Fast genau so ungläubig ist der Mann, als ich ihm erzähle wie es hier vor 25 Jahren zuging.
Mein Tipp für einen kleinen Stadterkundungs-Spaziergang: vom U-Bahnhof Kleistpark, eine Runde durch den Park und die ehemaligen Königskolonaden, die Pallasstraße durch zum Winterfeldtplatz und dann im Berio (Maaßenstraße) bei einem Stück Kuchen das Schöneberger Straßenkino genießen.
Ride Safe!