Berlin und das Spree-Dilemma
Zwischen Beachbar und Abwasserkanal
Das Verhältnis Berlins zu ihrem Fluss ist ein Schwieriges. Zwar wird gerne auf die große Anzahl an Brücken und Kanälen hingewiesen und das Klischee vom klassizistischen Spree-Athen ist auch schon reichlich bemüht worden, aber dennoch scheint der Umgang der Stadt mit ihrem größten Fluss fast verschämt. Zugegeben, verglichen mit der Themse oder der Elbe ist die Spree bestenfalls ein Flüsschen. Wo Gewässer andernorts Weite entstehen lassen und Uferwege zum Flanieren einladen, Romantiker zum Händchenhalten und Küssen im Herbstnebel animiert werden und ein gewisser Stolz herrscht, nehmen viele Berliner die Spree eher als Hindernis fürs schnelle Fortkommen wahr. Erst seit einigen Jahren entdecken Eingeborene, Zugezogene und Besucher den Charme dieses Flusses, treffen sich zum Sonnenuntergangs-Bier, lassen die Beine in einem der vielen Beachclubs vom Ufer baumeln und fordern mehr Zugang und Teilhabe. Neueste Entwicklung ist das geplante Flussbad Berlin. Mit diesem Artikel wollen wir ein wenig die Geschichte und Hintergründe dieses Projekts beleuchten.
Hintergrund
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war die Spree eine der meistbefahrenen Wasserstraßen in Deutschland, wobei hauptsächlich Waren transportiert wurden. Baumaterialien, Kohle aus dem Ruhrgebiet oder der Lausitz, Lebensmittel, nahezu alles wurde auf flachen Kähnen in die Stadt gebracht. An den Ufern entstand schon früh Industrie mit hohem Wasser- oder Energiebedarf wie z. B. die Gerbereien, die der Lohmühlenstraße an der Mündung vom Landwehrkanal in die Spree ihren Namen gaben. In Innenstadtnähe wurden Dutzende große Speicher errichtet, von denen heute nur noch wenige stehen.
Fast 30 Jahre lang war die Spree darüber hinaus Grenzfluss, an ihrem nördlichen und östlichen Ufer schwer befestigt und für Niemanden zugänglich, an ihrem südlichen, westlichen war einfach Stadtrand mit Brachen und Industrie. Was hingegen bis auf wenige Ausnahmen fehlt, sind begrünte Uferwege. Und worauf wir zumindest in der Innenstadt heute völlig verzichten müssen ist die Gelegenheit die Spree zum Baden zu nutzen.
In früheren Epochen galt zumindest im christlich geprägten Mitteleuropa das Schwimmen als gefährlich und irgendwie unschicklich. Vermutlich wird es schon früh Menschen gegeben haben, die Schwimmen als Körperertüchtigung betrieben, aber die Idee, aus anderen Gründen als der nun mal ab und an nötigen Reinigung ins Wasser zu steigen ist eine relativ Neue. Im auslaufenden 18. Jahrhundert wurde Wasser eine zunehmend heilsame Wirkung zugeschrieben. Die ersten Kurorte und Seebäder entstanden. Zu nutzwertorientierten Anwendungen wie Kneipp- und Dampfbädern kam im Laufe der Zeit eine soziale Funktion. Man traf sich, tratschte und der Genuss trat immer mehr in den Vordergrund. Da sich aber nicht Jeder eine Reise, in diese meist doch sehr mondänen Bäder leisten konnte, rückten die Flüsse der Großstädte in den Fokus.
Natürlich wäre damals Niemand auf die Idee gekommen sich der Berliner Öffentlichkeit halbnackt zu zeigen. So waren die damaligen Flussbäder blickdicht in alle Richtungen, die Umkleidekabinen befanden sich auf Pontons. Direkt daneben das eigentliche Bad, von außen wie schwimmende Schuppen wirkend. Diese waren im Grunde genommen nur ein rechteckiger unten offener Rahmen. Mit der beginnenden Emanzipation während der Weimarer Republik verlangten auch die Damen nach dem Sprung ins kühle Nass – natürlich streng nach Geschlechtern getrennt, so freizügig war man auch im nachkaiserlichen Deutschland nicht.
Genaue Informationen über die damalige Wasserqualität sind schwer bis gar nicht zu finden, es fällt jedoch leicht sich auszumalen, dass das Wasser auch damals nicht das allerappetitlichste war. Neben der schon erwähnten Industrie, die vieles ungeklärt in die Spree leitete, was da eigentlich nicht reingehört, waren und sind es vor allem Fäkalien die den Fluss belasten. Wie auch in London oder Paris ist im Berliner Untergrund eine sogenannte Mischwasserkanalisation verlegt. Das bedeutet, dass mit ihr gleichermaßen Regen wie auch die Haushaltsabwässer transportiert werden. Wenn es stark regnet kommt es vor, dass das Fassungsvermögen der Kanäle nicht ausreicht, um alles Wasser zu den entsprechenden Klärwerken zu leiten. Nun hat wirklich Niemand Lust 20 Mal mal im Jahr durch Kloake zu waten, die aus den Gullys hochgedrückt wird. Also wird bei Starkregen-Ereignissen die Brühe einfach in den Fluss geleitet. Das wäre gar nicht mal sooo schlimm, würde die Spree ordentlich fließen, sie schleicht aber eher. Bei einer Fließgeschwindigkeit von teils nur 50 Zentimetern braucht das Zeug leider Wochen bis es wieder abgelaufen ist.
Seit aus den Tagebauten in der Lausitz Seen werden und statt Wasser in die Spree zu leiten welches abpumpen, führt sie auch zunehmend weniger Wasser. So wird gerade in den Sommermonaten aus einem fließenden ein stehendes Gewässer und es gibt zumindest glaubhafte Berichte, dass die Spree bei Köpenick gelegentlich rückwärts fließt. Davon abgesehen kann ich aus persönlicher Erfahrung berichten, dass es durchaus ungefährlich ist in ihr zu baden, zumindest am östlichen Stadtrand vor dem Weg durch Berlin. Das letzte Freibad an der Oberspree ist beispielsweise erst in den 80er unter Verweis auf die Wasserqualität geschlossen worden. Die meisten anderen jedoch schon im Jahr 1925 wegen eines besorgniserregenden bakteriologischen Zustands. Auch wenn es inzwischen verboten ist, hier zu baden und theoretisch sogar 15 € Strafe fällig werden, kann man hier über die damals angelegten Stufen sanft in gemächlichen Fluten tauchen und den Ausflugsdampfern zuwinken.
Kurz gesagt, die Spree ist zugebaut, umstritten und eigentlich viel zu versifft um in ihr zu baden. Genau das soll sich jetzt ändern mit dem Flussbad Berlin