Ai Weiwei in Berlin
Der Dissident und Berlin – eine Liebesgeschichte
Ai WeiWei und Berlin, das ist spätestens seit der gefeierten Ausstellung “Evidence” im Martin Gropius Bau eine Liebesgeschichte. Allerdings eine, die zunächst mit einer herben Hypothek belastet war. Der Lieblings-Dissident der Deutschen durfte von Staats wegen sein Heimatland für insgesamt 4 Jahre nicht verlassen. Zum Wintersemester hat der Künstler nun eine dreijährige Gastprofessur an der Berliner Universität der Künste angetreten und sein Atelier im Pfefferberg bezogen, einer ehemaligen Brauerei in Nachbarschaft zu unserem Depot in der Kulturbrauerei. So ist es eigentlich gar nicht so verwunderlich, ihn bei einer unserer Radtouren tatsächlich zu treffen, aber gerade diesen Künstler umweht ein Mythos von Widerstand und Avantgarde, der ihn überlebensgroß erscheinen und zur Projektionsfläche für allerhand überzogene Erwartungen werden lässt, denen ein Künstler kaum gerecht werden kann. So jemand trifft man doch nicht einfach auf der Straße, dachten wir, tut man aber doch. Umso überraschender, dass sich Ai Weiwei direkt zum Fanportrait aufstellt und sich auch sonst als recht zugänglicher Charakter erweist.
Aufsehen erregte Herr Weiwei (oder muss es heißen “Herr Ai” oder darf man den Namen überhaupt gar nicht trennen?) bereits kurz nach Antritt seiner Professur allerdings im Zusammenhang mit einer Ausstellung in Melbourne. Für die Schau “Andy Warhol / Ai Weiwei” fragte er beim Lego-Konzern an, ob diese ihm für eine Reihe von Klötzchen-Portraits berühmter Politiker im Stile von Warhol nicht ein paar Steine zur Verfügung stellen wolle. Lego lehnte ab mit Hinweis darauf, dass das Unternehmen grundsätzlich keine Aktionen mit politischem Hintergrund unterstützen würde. Daraufhin sind u. a. der Martin-Gropius-Bau und jede Menge Privatpersonen vor Ort in Melbourne in die Bresche gesprungen, so dass sich Ai Weiwei am Schluss vor Steinen kaum retten konnte. Die Ausstellung läuft übrigens noch bis Ende April, wenn Ihr also zuuufällig in Australien seid….
Safe Passage, Rettungswesten am Gendarmenmarkt
In Berlin selbst machte er in den vergangen Tagen mit einer mittlerweile beendeten Aktion auf dem Gendarmenmarkt auf sich, aber vor allem auf die Flüchtlingsproblematik aufmerksam. Im Rahmen des “Cinema for Peace“-Awards, der wiederum Teil der Berlinale ist, kleidete er die Säulen des von Schinkel erbauten Konzerthauses in rote und orangefarbene Rettungswesten, die von Flüchtenden auf der Insel Lesbos zurückgelassen wurden. In der Mitte hing eines jener Schlauchboote mit denen Menschen aus Syrien und anderen Kriegsgebieten die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer antreten, beschriftet mit dem Hashtag #safepassage.
Der eingangs erwähnte Mythos von Ai Weiwei hat mittlerweile etwas Patina bekommen, Grund dafür ist einerseits seine zunehmend zahme Haltung gegenüber dem chinesischen Regime, die ihm manche Leute übel nehme, andererseits eine Aktion bei der Preisverleihung vom oben erwähnten Award. Als Zeichen der Solidarität sollten sich die Teilnehmer der Gala in goldene Rettungswesten hüllen und sich damit fotografieren (lassen). Das ist von vielen als grenzwertig zynisch empfunden worden. Ich selbst mag mir da kein Urteil bilden, fand aber die Aktion am Gendarmenmarkt umso beeindruckender und einen kreativ umgesetztes Statement, dass einem das Ausmaß der Katastrophe in einer Eindringlichkeit vor Augen führt, die schlichte Fernsehberichte nicht erzeugen können. Toll ausgesehen hat es außerdem – Schade, dass es schon wieder weg ist.
Ride Safe
Sascha