Virtual Reality in Berlin: TimeRide
Ostberlin-Stadtführung mit der VR-Brille
Auch wenn für uns die persönliche Begegnung im Fokus unserer
Berlin-Radtouren steht und wir nie auf die Idee kämen, unsere Guides durch virtuelle Avatare zu ersetzen, sind wir immer neugierig, bei neuen High-Tech-Ideen für den Tourismus. Eine dieser faszinierenden Ideen ist der Einsatz von Virtual-Reality am Schnittpunkt zwischen Bildung und Entertainment. Das Unternehmen TimeRide hat sich des Themas konsequent angenommen und mit Berlin bereits die vierte deutsche Stadt in Teilen nachgebaut. Ausgangspunkt des virtuellen Erlebnisses ist eine Zeitreise ins Berlin des Jahres 1985. Die
Mauer steht noch und das 750. Stadtjubiläum steht kurz bevor. Zur Einstimmung gibt es erst Mal zwei kurze Filmchen über die Situation im damaligen Berlin. Die bleiben naturgemäß ziemlich oberflächlich, weil hier auch an Leute gedacht wird, die wenig bis gar nichts über die damaligen Verhältnisse Bescheid wissen. Da gab es für uns zwar nicht wirklich etwas Neues zu erfahren, aber erstens sind wir als Stadtführer wohl kaum der Maßstab und, zweitens gab es für Martin (Ost) und mich (West) ein paar schöne nostalgische Bilder zu sehen. Für die Potsdamer Schulklasse, mit der wir die Tour gemeinsam erlebt haben, war das aber genau richtig, um die Stimmung zu setzen.
Im Eingangsbereich steht noch ein cooler (wahrscheinlich nicht originaler) 60er-Jahre Kiosk aus der DDR.
Im nächsten Schritt stellten sich uns drei Zeitzeugen in Videos vor. Ein Fliesenleger und eine Architektin aus dem Osten und ein Fotograf aus dem Westen. Letzterer ist zwar kein gebürtiger Berliner aber mit seiner Geschichte dennoch prototypisch für das West-Berlin der 80er Jahre. Der westdeutschen Kleinstadt mit seiner einengenden Piefigkeit und dem Wehrdienst entflohen ins wilde Kreuzberg – ohne Sperrstunde, dafür mit Punks und besetzten Häusern, hat er dann auch regelmäßig den Osten besucht. Auf der anschließenden eigentlichen VR-Tour wird dieser Mann also mein Begleiter sein. Nachdem das klar ist, werden wir in einen alten Ost-Bus gesetzt – oder zumindest in einen Raum, der so aussieht wie ein alter Ost-Bus inklusive Augenkrebs induzierendem Musterstoff auf den Sitzen.
Als “Vorführraum” dient ein alter DDR-Bus.
Blogger Sascha ruckelt sich bei TimeRide erst einmal die VR-Brille zurecht
Einer von drei möglichen Guides für die VR-Tour durch Ostberlin stellt sich vor.
Was war noch mal VR?
Die Wikipedia beschreibt VR wie folgt: “Als virtuelle Realität, kurz VR, wird die Darstellung und gleichzeitige Wahrnehmung der Wirklichkeit und ihrer physikalischen Eigenschaften in einer in Echtzeit computergenerierten, interaktiven virtuellen Umgebung bezeichnet.” Das heißt im Grunde genommen ist auch jedes Computerspiel eine Virtuelle Realität, allerdings hat sich in den letzten 25 Jahren eine etwas konkretere Sichtweise durchgesetzt. Heute werden als VR vor allem jene Anwendungen bezeichnet, die möglichst immersiv sind, die reale Welt also so weit wie möglich ausblenden. Erzielt wird das durch den Einsatz von bewegungssensitiven 3D-Brillen. Diese enthalten zwei kleine Monitore, die ein jeweils leicht versetztes Bild einer computergenerierten Szene zeigen, um diese dreidimensional erscheinen zu lassen. In Verbindung mit Bewegungssensoren kann der Nutzer durch Kopfbewegungen den Blickwinkel frei bestimmen. Teilweise sind die Systeme auch so fortgeschritten, dass man sich mit einem Rucksack frei im realen Raum bewegen kann und dadurch seine Bewegungen in der virtuellen Realität bestimmen.
Echtes Highlight, die Arbeitskleidung bei TimeRide – auch wenn unsere Guides uns lynchen würden, wenn wir mit so etwas ankämen.
Unser Guide/Betreuer, stilecht im farbenfrohen Ballonseide-Blouson, wie man sie halt so in den 80ern getragen hat, erklärt uns noch wie wir die VR-Brillen des Herstellers Oculus aufsetzen und einstellen, was auch für Brillenträger kein Problem ist. Die Brillen werden noch kurz kalibriert, wofür wir nur kurz geradeaus schauen und stillhalten müssen und dann geht es los. Anfangs fährt unser Bus noch mitten durchs Weltall und wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich zu diesem Zeitpunkt auch nichts dagegen gehabt noch ein paar Minuten durch irgendwelche Gasnebel zu cruisen und mich zu fragen, wann Captain Picard endlich Gas geben lässt. Aber während ich noch die Aussicht genieße, blendet die Szenerie langsam über und unser Bus fährt die Friedrichstraße Richtung Norden auf den Checkpoint Charlie zu. Der Busfahrer plappert leise vor sich hin, wie sich das für einen professionellen Kraftfahrer in Berlin gehört und gleichzeitig nimmt mein Fotograf die Erklärung auf und erzählt von seinen ersten Ausflügen in den Osten und den Absurditäten, die seine fotografische Arbeit so nachhaltig beeinflusst haben. Die Grenzkontrolle ist untypisch schnell vorbei und wir werden gleich erst mal umgeleitet und fahren mit unserem Bus direkt über den Gendarmenmarkt, wo aus der Ruine des Französischen Doms wieder ein repräsentatives Gebäude wird. Was mich zu diesem Zeitpunkt besonders fasziniert, neben den vielen kleinen Szenen, die sich überall am Straßenrand abspielen, sind die vielen verschwundenen Blickachsen, die man hier noch einmal nacherleben kann. Wahrscheinlich wissen wir noch besser als die meisten, wie es hier vor 30 Jahren ausgesehen hat. Wir kennen Modelle, unzählige Fotos und haben unsere eigenen Erinnerungen, aber jetzt noch einmal die Perspektive von damals einnehmen zu können und dabei den Blick frei schweifen zu lassen, ist wirklich toll. Schluss ist nach etwas mehr als einer Viertelstunde am Palast der Republik, dessen kupferrote Glasfassade auch virtuell nichts von seiner Wirkung einbüßt.
Beispielbilder TimeRide Berlin VR Experience
Ansicht aus TimeRide: Grenzübergang Checkpoint Charlie
Ansicht TimeRide Ost-Berlin: Leipziger Straße
Berlin virtuell: Palast der Republik
Technisch ist das Ganze ordentlich und wer nicht von Haus aus empfindlich auf VR reagiert, vergisst schnell, dass das hier alles fake ist. Mit aktuellsten Computerspielen kann die Grafik zwar nicht mithalten, aber das ist auch gar nicht notwendig und fällt überhaupt nicht störend auf, weil alles in sich stimmig ist und besonders die Lichteffekte überzeugend sind. Gute Nachricht für Brillenträger: die verwendeten Oculus-Brillen passen auch mit Nasenfahrrad.
Fazit: Wir waren begeistert. Wer hier halbwegs regelmäßig mitliest, weiß dass wir nicht gerade zu übersprudelnden Lobeshymnen neigen. Im Gegenteil, wir haben es uns durchaus schon mit Leuten verscherzt, für deren Geschmack wir nicht positiv genug berichtet haben, weil uns wirklich was gestört hat. Wenn wir wollten, könnten wir auch hier ein paar kleine Haare in der Suppe finden, aber wir müssten schon ein bisschen suchen. Wollen wir aber gar nicht, weil es insgesamt wirklich eine tolle Erfahrung und richtig gute Ergänzung zu unserem eigenen Ansatz ist.
Infos TimeRide Berlinx
timeride.de/berlin/
Adresse:
Zimmerstraße 91, 10117 Berlin
Tel.: 030 – 310 11 300
E-Mail: berlin@timeride.de
Öffnungszeiten:
Mo. – So.: 10 – 20 Uhr
Tickets 8,00 bis 12,50 €
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