Der Russisch-Orthodoxe Friedhof in Berlin Tegel
Berlin Radtour nach Tegel Teil 1
Tegel gehört zu Ecken Berlins in die Viele nur kommen, wenn Sie zum Flughafen müssen. Der Ein oder Andere weiß vielleicht noch, dass es einen wunderschönen großen See gibt, der zum Baden und Segeln einlädt, aber sonst haben gerade viele Zugezogene so gar keine Vorstellung von diesem Stadtbezirk. Grund genug für uns, eine kurze Radtour zu unternehmen, wobei uns hauptsächlich der Russisch-Orthodoxe Friedhof und das StreetArt-Projekt Urban Nation interessieren.
Wir starten am ersten richtigen warmen Frühlings-Sonntag am Hauptbahnhof und folgen dem Berlin-Spandauer Schifffahrtskanal Richtung Norden, vorbei am Humboldthafen, einem der letzten verbliebenen Wachtürme der DDR-Grenztruppen und dem ehemaligen Abspannwerk Scharnhorst. Es ist mir ein bisschen peinlich, aber wir waren so froh durch die Sonne zu radeln, dass wir es echt nicht geschafft haben unterwegs Bilder zu machen – nicht mal am schönen Plötzensee. Zu zwei Dritteln führt die Strecke durch Grünanlagen oder Wald, dafür ist das verbliebene Drittel umso unattraktiver. Tegel ist geprägt von viel Gewerbe aufgrund der Flughafennähe, in den Wohnvierteln sind viele Häuser flacher als in der Innenstadt und das “Stadtzentrum” von Tegel ist ehrlich gesagt ziemlich austauschbar. Selbst ich als geborener Berliner muss mir manchmal aktiv vor Augen führen, dass Berlin eben nicht nur die hippe Innenstadt ist. In Tegel ist alles eine Ecke normaler – vielleicht sollten sich die Neuberliner, die im Prenzlauer Berg und Friedrichshain die Clubs aus ihren Räumen klagen, einfach mal in Tegel umsehen, da fühlt man sich auch als Braunschweiger sofort zu Hause (ohne dass ich jetzt spezifisch etwas gegen Braunschweig hätte – ehrlich gesagt bin ich da nur einmal durchgefahren und das endete mit einer Geisterfahrt auf den Tramgleisen, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Also bitte liebe Braunschweiger fühlt Euch nicht angegriffen).
Wie gut, dass wir wissen wo wir hinwollen. Nach einigem Suchen und ca 15km finden wir unser erstes Ziel:
Der russisch-orthodoxe Friedhof in Berlin Tegel
Die Geschichte der russischen Gemeinde ist älter als man gemeinhin meint. Bereits seit 1706, also kurz nach der Umwandlung von Brandenburg-Preußen in ein Königstum durch Friedrich I. gab es eine ständige Gesandtschaft des russischen Zarenhauses in Berlin. Zunächst wurde in einer Kapelle der Gesandtschaft gebetet und die meisten Verstorbenen einfach auf protestantischen Friedhöfen beigesetzt. Da das auf Dauer spirituell unbefriedigend war, hat der Erzpriester der Botschaftskapelle 1890 die Bruderschaft des Heiligen Fürsten Wladimir gegründet, die nur zwei Jahre später ein Stück Land in Reinickendorf (Ortsteil von Tegel) als Kirch- und Friedhofsgelände erstand.
Russische Erde in Berlin
Mitte 1893 erfolgte die Grundsteinlegung eines für Berlin nun doch sehr außergewöhnlichen Bauwerks. Natürlich kann sich die St.-Konstantin-und-Helena-Kirche in Tegel von ihren Ausmaßen her nicht mit den stilistischen Vorbildern wie der Basilius-Kathedrale messen. Der Baustil lässt sich seiner Zwiebeltürme allerdings selbst von Architektur-Laien als Russisch identifizieren. Die Kirche ist ein geziegeltes Bauwerk, dass eigentlich nur aus einem einzigen gedrungenen Turm besteht, der wiederum von vier kleineren Türmen flankiert wird. Die Kuppeln strahlen auch nach über 100 Jahren noch in einem kraftvollen Blau, dass an diesem Samstag mit dem Himmel um die Wette strahlt. Gekrönt sind die Türme von den goldenen Dreifach-Kreuzen der Orthodoxen, die an die Entscheidung zwischen Himmel und Hölle erinnern sollen.
Der eigentliche Clou an dem Russisch-Orthodoxen Friedhof in Berlin Tegel ist jedoch der Boden. Gemäß der orthodoxen Tradition sollen Gläubige in Ihrer Heimaterde bestattet werden. Zar Alexander III. persönlich veranlasste die Lieferung von 4.000 Tonnen russischer Erde aus 50 verschiedenen Regionen, damit die toten Diplomaten wenigstens im Tod wieder mit Mütterchen Russland vereint sind.
Bis zum ersten Weltkrieg entwickelte sich die og Bruderschaft zum spirituellen aber auch wirtschaftlichen Zentrum der russischen Gemeinde in Berlin. So wurden Übersetzungen der Liturgien angefertigt, Gewächshäuser errichtet und ein Museum eingerichtet. Dabei waren die Brüder so erfolgreich, dass sie mit dem Erlös, den Bau weiterer orthodoxer Kirchen im Deutschen Kaiserreich finanzieren konnten.
Wirklich groß ist das Gelände nicht und die Umgebung ist schon etwas seltsam. Es gibt wohl kaum etwas profaneres als diese 70er-Jahre-Mehrzweck-Kommerzarchitektur deutscher Gewerbegebiete. Wie eine Insel der Einkehr und Echtheit nimmt sich der Friedhof aus und lädt ein zum kurzen Verweilen und Nachdenken. Selbst Menschen, die wie ich überhaupt nicht religiös sind, berührt dieser Ort. Der Versuch angesichts des Todes in der Fremde die eigenen Traditionen aufrecht zu erhalten hat etwas Rührendes und Verletzliches. Viele Gräber sind mit frischen Blumen verziert, aber auch dazwischen blüht es jetzt im Frühling als wollte uns die Pflanzenwelt an diesem Ort daran erinnern wie vergänglich die guten Zeiten sind.
Während des Kalten Krieges ist hier vieles verfallen. Erst seit der Wende wird wieder restauriert. Aus der Zeit zwischen dem Zweiten Weltkrieg und dem Fall des Eisernen Vorhangs finden sich kaum Gräber. Erst ab Mitte der 90er Jahre wächst die Russische Gemeinschaft in Berlin wieder vor allem dank der vielen Spätaussiedler und damit auch das Interesse an dem Friedhof. Mittlerweile wohnen in manchen Gegenden Charlottenburgs so viele russisch-stämmige Berliner, dass der Bezirk manchmal scherzhaft Charlottograd genannt wird.
Wenn Euch Friedhöfe keine Angst einjagen, gefällt Euch vielleicht auch unser Artikel über den Jüdischen Friedhof in Weissensee
Weiter geht es in Teil 2: Urban Nation Murals in Tegel