Radtour von Turm zu Turm: Berlin von oben
Fahrradtour Berlin von oben
Während sich im Osten von der Politik bis zu den Straßennamen so ziemlich alles verändert hat, waren die von den meisten Wessis zu erbringenden Anpassungsleistungen relativ überschaubar. Aber auch im Westen der Stadt blieb nicht alles beim Alten, durchaus zum Positiven, es gab mehr Wohnungen und Clubs und die 90er waren eine einzige Party, ansonsten war eigentlich Einzige was erfolgreich aus der DDR in die BRD mitgebracht wurde, das Ampelmännchen das bald stadtweit mit Hut den Verkehr regeln sollte. Auch auf den Fernsehturm war man bald beidseits der ehemaligen Mauer ziemlich stolz und die spiegelnde Kugel am Alex ist zu DEM Berlin-Symbol schlechthin geworden.
Ein bisschen wehmütig macht mich jedoch der Bedeutungsverlust des Funkturms, dieses eleganten Stahlungetüms am westlichen Rand der Berliner Innenstadt. Zugegeben, er ist nur halb so hoch wie das Ostpendant am Alexanderplatz, aber dafür auch doppelt so alt. Und weil man ja immer einen Aufhänger braucht, haben wir uns überlegt, den Funkturm einfach zum Startpunkt einer besonderen Radtour zu machen, die die beiden höchsten Aussichtspunkte der Stadt miteinander verbindet.
Berlin von oben: Funkturm
Für mich ist der Funkturm DAS Symbol Westberlins, inklusive all des Filzes und der Bräsigkeit, mit der diese Stadt in den 80ern betrieben wurde. Heute kaum vorstellbar, aber damals ist einem als Teenie durchaus öfter mal von Fremden ein neuer Haarschnitt nahegelegt worden. Dieses Berlin gibt es schon lange nicht mehr und der Funkturm ist gefühlt an den Stadtrand verlegt worden, so sehr hat sich das Geschehen in Berlin Richtung Osten verlagert. Der Turm hat es also ziemlich schwer im Reigen der Sehenswürdigkeiten. Das gilt natürlich ganz besonders im Vergleich mit dem Konkurrenzturm, der sich gefühlt auf jedes zweite Berlinfoto schummelt.
Wo der Fernsehturm fast ein wenig protzig ist, wirkt die Gitterkonstruktion des Funkturms nahezu zerbrechlich. Wie eine alte Dame, immer elegant; vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, aber mit Haltung und ein klein wenig Dünkel, so jedenfalls kommt es mir vor. Auch die Profanarchitektur der Messehallen und das Raumschiff ICC tangieren die Lady nicht wirklich, über so was steht man, Häuser kommen und gehen schließlich, der Turm bleibt.
Genug Poesie. Nach Bezahlung von 5€ lässt man uns ohne weitere Formalitäten in den Fahrstuhl, den man hier sogar selbst bedienen darf. Das Tolle an der Aussichtsplattform auf 126m, es gibt keine Scheiben. Über der brusthohen Balustrade verhindert lediglich ein stabiles Gitter Unfälle, d. h. man hat einen komplett ungefilterten Blick auf ganz Berlin.
Einziger Nachteil; der Funkturm ist leider etwas windanfällig.
Vor einem Besuch empfiehlt es sich daher auf der Internetseite des Funkturm-Betreibers nachzuschauen, ob der Aufzug tatsächlich fährt.
Lietzensee
Wir werfen noch kurz einen Blick auf das ICC. Als dieses futuristische Meisterwerk 1979 eröffnet wurde, war es das teuerste Gebäude Westberlins. Mittlerweile ist der Bau “technisch verschlissen” und die Messe Berlin würde ihn am liebsten abreißen. Da sich sowohl Politik als auch breite Teile der Bevölkerung dagegen wehren, aber niemand Kohle, hat das Ding zu sanieren – geschweige denn ein gescheites Nutzungskonzept – werden einstweilen Flüchtlinge darin untergebracht. Meine Prognose, man lässt das ICC noch eine Weile vor sich hingammeln bis man schließlich nicht mehr anders kann, als das Haus abzutragen.
Nur einen Steinwurf weiter liegt der Lietzensee. Eingebettet in eine der schönsten (und teuersten) Wohngegenden Berlins liegt diese grüne Oase. Deutlich unterhalb des Straßenniveaus herrscht hier eine besondere Ruhe, obwohl die Autobahn nicht weit ist und die Kantstraße den See sogar in zwei Teile teilt. Umgeben von prachtvollen Jugendstilhäusern und von alten Weiden gesäumt, lädt der dazugehörige Park zum Kurzurlaub von der tobenden Großstadthektik. Und wie sich das für Berlin gehört, weiß keiner so recht woher der Name kommt, aber dafür gibt es eine schöne Legende über das untergegangene Dorf Lietzow, dessen Kirchsturmspitze angeblich den Fischern schon vor 150 Jahren den Fang verdorben hat.
St. Canisius
Unmittelbar neben dem See steht der 2002 geweihte Neubau der katholischen St. Canisius Gemeinde. Der 1995 abgebrannte Vorgängerbau war für die Katholiken im Westteil der Stadt der zentrale Sakralbau, da die Hedwigskathedrale im Osten für Feierlichkeiten ausfiel.
Normalerweise sind Großfeuer mit entsprechender Sachbeschädigung ja eher Grund zur Trauer, in diesem Fall hat uns der Brand jedoch ein wunderbares Gebäude beschert. Innen und Außen verschmelzen, großzügige Holzelemente bändigen die strengen Sichtbetonflächen und trotz seiner Masse wirkt der Bau verspielt und leicht. Für die Architekten gab es damals – wie ich finde – zurecht eine Auszeichnung für den Entwurf. Mir selbst macht St. Canisius ein wenig Hoffnung darauf, dass wir in Berlin auch anders können als mit rasterfassadiger Blockrand-Bebauung Langeweile zu verbreiten. Bitte, lasst uns mehr Mut aufbringen für Architektur die aneckt, polarisiert, überrascht und Leidenschaften weckt, anstatt nur dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu frönen. Amen!
Schloss Charlottenburg
Wieder auf dem Rad wenden wir uns nach Norden und folgen der Schloßstraße auf dem Mittelstreifen. Bei gutem Wetter treffen sich hier Boulespieler, türkische Frauenzirkel zum Klatssch und Touristen. Kunstbeflissene könnten jetzt versucht sein, die Radtour für ein paar Stunden zu unterbrechen, um in die Sammlung Berggruen einzutauchen; mein absolutes Lieblingsmuseum und eine der bedeutendsten Sammlungen des Impressionismus weltweit.
Wir aber lassen sowohl Museum als auch Schloss links liegen und radeln stattdessen einfach durch den Schlosspark. Unmittelbar hinter dem barocken Prachtbau in weiß und gelb entfaltet sich ein streng formaler französischer Garten mit geometrisch exakt beschnittenen Hecken und Beeten. Spannender ist jedoch der daran anschließende Landschaftsgarten im Englischen Stil. Kleine Wasserwege durchziehen die Heide und Waldlandschaft, Seerosen, Reiher und Spechte sorgen wir ein Gefühl von Natur mitten in der Stadt, obwohl kaum ein Ort so durchgeplant sein dürfte wie dieser. Als Internetjunkie mit der Aufmerksamkeitsspanne einer Stubenfliege finde ich die Vorstellung extrem, etwas zu planen, dessen Entfaltung ich nicht mehr zu Gesicht bekommen werde. Ein wenig beneide ich die Vorstellungskraft von Gartenbaumeistern wie Lenné oder Steiner, die dafür verantwortlich sind, dass sich 200 Jahre nach ihrem Ableben immer wieder spektakuläre Sichtachsen auftun. Neben dem Schloss sei auch kurz das Mausoleum erwähnt, in dem u. a. Königin Louise und ihr weit weniger beliebter Ehemann bestattet sind. Der von Rauch geschaffene Sarkophag gehört zu den herausragendsten Bildhauerarbeiten des 19. Jahrhunderts und weist auch selbst eine bewegte Geschichte auf.
Spree und Landwehrkanal
Insgesamt behandeln wir Berliner unseren einzigen nennenswerten Fluss ziemlich stiefmütterlich, in weiten Teilen sind die Ufer nicht mal zugänglich, geschweige mit Liebe gestaltet. Das gilt jedoch nicht für den Abschnitt vom Schlosspark bis ins Regierungsviertel. Mal unter Bäumen, mal auf einer breiten Promenade fährt man vorbei an alter und neuer Industriearchitektur, irgendwann gabelt sich das Wasser und wir entscheiden uns für die Route am Landwehrkanal entlang zum Charlottenburger Tor. Zu Beginn des 20 Jahrhunderts war Charlottenburg noch eine eigene Gemeinde, eine wohlhabende dazu. Mit dementsprechend viel Selbstbewusstsein wurde das Tor in Richtung Berlin gestaltet. Die beiden ursprünglich neben dem Tor stehenden Steuerhäuser (Zoll) sind schon lange weg und auch die Eigenständigkeit Charlottenburgs hielt nicht allzu lang. Schon 1920 wurde die Stadt wie etwa 60 weitere Dörfer, Siedlungen und Städte zu Groß-Berlin eingemeindet. Heute bildet das Tor einen schönen Rahmen für den Blick auf die Siegessäule. Besonders von der Mittelinsel aus bietet sich ein tolles Berlin-Panorama mit der S-Bahn im Vordergrund, ringsum die prächtigen Straßenlaternen, der Goldelse in der Mitteldistanz und – dem sich ewig auf alle Fotos schmuggelnden Ziel unserer Fahrradtour – dem Fernsehturm.
Tiergarten/CANS
Zeit für eine Pause. Im Tiergarten, mitten in Berlins größtem Park, liegt das Café am Neuen See (CANS) ein Biergarten und Restaurant am Wasser. Das CANS ist leider nicht ganz billig, dafür ist die Location wirklich malerisch. Neben der üblichen Biergartenkost aus Brezeln und Leberkäs, gibt es Pizza und Salat und im Restaurant auch reguläres a-la-carte-Essen. Ein wenig fühlt man sich an München erinnert, aber vielleicht liegt das auch nur an dem bayerischen Geschäftsmann, der uns in ein Gespräch verwickelt und uns mitteilt, wie überrascht er ist, so was in Berlin zu finden. Oder an den hier regelmäßig anzutreffenden B- bis H-Promis.
Komponistenofen
Gestärkt aber etwas ermattet, rollen wir weiter durch den kühlen Tiergarten vorbei an prachtvollen Rhododendronbüschen, die zum Ende des Frühlings ihre Blüten entfalten. Bald wenden wir uns ein wenig Richtung Norden und halten kurz an einem meiner absoluten Lieblingsorte, dem weiß und gold strahlenden Beethoven-Haydn-Mozart-Denkmal. Am Kopfende eines kleinen, mit Wasserrosen bewachsenen und Bänken umstellten Goldfischteichs steht dieses 10m hohe, an einen Ofen erinnernde Denkmal für die drei großen Meister des Barock. Analog zu den im Park verstreuten Skulpturen für Goethe, Schiller und Lessing wurde hier quasi das musikalische Pflichtprogramm des deutschen Bildungsbürgertum in Stein gehauen. Im Übrigen ist das Denkmal eines der wenigen Beispiele für tatsächlich gebräuchliche Spitznamen. Der eingangs erwähnte offizielle Name ist schlicht zu sperrig, weswegen er gerne durch Komponisten- oder Musiker-Ofen ersetzt wird. Allerdings sei hier angemerkt, dass der durchschnittliche Berliner kaum Anlass hat, diesen Namen überhaupt zu benutzen.
Sowjetisches Ehrenmal & Dorotheenstraße
Auf halber Höhe zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule queren wir die Straße des 17. Juni, um das Sowjetische Ehrenmal zu besichtigen. Insgesamt vier dieser kombinierten Soldatenfriedhöfe und Mahnmale hat die Sowjetunion nach dem Krieg in Berlin errichtet. Mit ihnen soll an den Sieg der Roten Armee über Nazi-Deutschland und die dafür gebrachten Opfer erinnert werden. Aufmerksamen Berlin-Kennern wird auffallen, dass wir uns immer noch im ehemaligen Westen der Stadt befinden. Für die Sowjetunion war es offensichtlich von zentraler Bedeutung das Gedenken auch in der Besatzungszone des künftigen Klassenfeinds zu zelebrieren. Vielleicht ist das der Grund, warum neben der großen Skulptur eines sowjetischen Soldaten mit geschultertem Gewehr, zwei T-34 Panzer die Anlage säumen. Zu Mauerzeiten war die Anlage darüber hinaus von sowjetischen Soldaten bewacht.
Um nicht zu viel unserer Sightseeing-Radtour Berlin im Überblick vorwegzunehmen, lassen wir das Reichstagsgebäude links liegen und folgen der Dorotheenstraße Richtung Osten. Hier, zwischen Spree und Linden, finden sich zwar keine der ganz berühmten Sehenswürdigkeiten, aber dennoch eine Vielzahl beeindruckender und historisch durchaus interessanter Gebäude. Gleich im ersten Block zum Beispiel ein Universitätsgebäude aus dem 19. Jahrhundert in dem schon Robert Koch Vorlesungen gehalten hat, die Rumänische Botschaft, das ehemalige Reichsinnenministerium, die Markthalle IV oder ein von Franz Schwechten gezeichnetes Wohnhaus, der auch die Kulturbrauerei und den Anhalter Bahnhof gestaltet hat. Es gibt also eine ganze Menge zu entdecken, für denjenigen der nicht nur das touristische Standardprogramm absolvieren, sondern etwas tiefer in die Seele Berlins eintauchen möchte.
Den letzten Abschnitt unserer Route erledigen wir dann doch auf Berlins Prachtstraße Nr.1 – Unter den Linden. Vorbei an der noch bis zum Herbst geschlossenen Staatsoper und dem Bebelplatz auf der einen Seite sowie dem Zeughaus mit dem Deutschen Historischen Museum auf der anderen. Die namenlose Weite südlich des Fernsehturms mit den Bronze-Philosophen Marx und Engels queren wir auch ohne lang zu verweilen, um uns endlich dem End- und Höhenpunkt unserer Zwei-Türme-Radtour zu widmen. – Dem Fernsehturm am Alex !
Berlin von oben
Eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang schließen wir unsere Räder an und drängeln uns dreist an der wartenden Schulklasse vorbei – wir sind schließlich dienstlich hier. Am Ticketschalter wird uns neben unserer Eintrittskarte ein Bändsel ausgehändigt, mit dem wir uns gleich doppelt so professionell fühlen. Nach einer Sicherheitsprüfung, die mindestens so gründlich ist wie am Flughafen Tegel, (was nicht allzu viel zu heißen hat) begeben wir uns zum Fahrstuhl. Der Fahrstuhl-Mensch, der für uns das Knöpfe Drücken und die Kommentierung mit Berliner Schnauze übernimmt, warnt noch kurz, dass so manchem schon schlecht geworden ist, und dann sind wir auch schon oben. In gerade mal 40 s schießt einen der Fahrstuhl auf etwas mehr als 200m. Das berühmte Restaurant, dass sich alle 30 Minuten einmal um seine eigene Achse dreht, liegt sogar noch mal ein paar Meter darüber.
Ich selbst war zuletzt vor fast 20 Jahren hier oben und schäme mich jetzt ein bisschen dafür. Der Ausblick ist wirklich atemberaubend. Selbst bei diesigem Wetter wie am Tag unseres Besuchs kann man weit ins Umland hineinschauen. Die Windräder am Stadtrand wirken so nah, als müsste man nur den Arm ausstrecken, um einen Strauß von ihnen zu pflücken. Im goldenen Licht der Abendsonne liegt einem ganz Berlin zu Füßen. Auch als Stadtführer ist man aus dieser Perspektive zunächst etwas verwirrt, irgendwie stimmen die Entfernungen alle nicht mehr, selbst der fast 10 km entfernte Ausgangspunkt unserer Tour wirkt nur einen kurzen Spaziergang entfernt.
Was wirklich bemerkenswert ist; obwohl der Wind so stark ist, dass der Funkturm am Morgen seinen Betrieb eingestellt hat, schwankt der Turm so gut wie gar nicht. Um lediglich 15 cm verlagert sich die Kuppel selbst bei stärkstem Wind. Das ist so wenig, dass man es nicht merkt.
Fast eine Stunde verbringen wir hier oben, entdecken immer wieder neue bekannte Landmarken und genießen das Schauspiel der untergehenden Sonne.
Während in Berlin langsam die Lichter angehen, kommen wir wohl oder übel wieder auf den Boden der Tatsachen zurück und radeln nach einem langen, erfüllten Tag nach Hause.
Ride Safe und Danke fürs Lesen!