Radtour nach Marzahn: Alte Börse, Tacheles, Berlin Farm Lab
Radtour nach Marzahn – vom neuen Tacheles zum Berlin Farm Lab
Vor mittlerweile fast zwei Wochen haben wir (also ich; Sascha & Martin aus dem Büro) uns mal auf den Weg nach Marzahn gemacht. In jüngster Vergangenheit war der Bezirk ja eher wegen hässlicher Bilder von pöbelnden Rechtsradikalen und ihren Gegnern in der Presse. Dem wollten wir mal etwas entgegensetzen, außerdem war zumindest für von einen von uns Marzahn ziemliches Neuland (wenn ich eine Karte hätte zeichnen müssen; here be dragons) und so haben wir uns entschlossen mal eine Ecke zu erkunden, die auch auf unserer Tour “Osten ungeschminkt” etwas zu weit ab vom Schuss liegt.
Unser Ziel war der neue Standort des mittlerweile geräumten Kunsthauses Tacheles in der Alten Börse Marzahn. Genau genommen handelt es sich erst mal nur um den Standort des stählernen Tacheles-Schriftzuges, sowie einiger der Künstler. Neben den Leuten vom Tacheles-Verein, die hier eine Metallwerkstatt aufgebaut haben und immer noch fleißig versuchen das echte Tacheles irgendwie zu retten, sind diverse künstlerische Projekte und Handwerker auf dem alten Gelände angesiedelt.
Abgesehen davon, dass wir erst mal an dem Eingang vorbeigefahren sind, weil das Gelände von außen sehr unscheinbar aussieht, war ich erstaunt, wie innenstadtnah, das trotzdem noch ist. 15 Minuten Radeln vom S-Bahnhof Frankfurter Tor – abwechselnd durchs Grüne oder entlang unfassbar breiter Straßen mit Plattenbauten – bringen uns über die Allee der Kosmonauten zur Alten Börse. Ganz viel Himmel, rundum eine krude Mischung aus Eigenheimsiedlungen Marke McMansion, Kleingärten, Plattenbauten und immer wieder alte Industrie: Kraftwerke, Schlachthöfe, Bahnanlagen. Die Alte Börse selbst ist der nördliche des ehemaligen Magerviehhofs Friedrichsfelde, ein reines Handelszentrum für Schlachtvieh, in dem 100.000 Tiere jährlich den Besitzer wechselten, bevor sie an anderer Stelle zu Fleisch verarbeitet wurden.
Zum großen Teil siedeln hier, wie in den vergangenen Jahrzehnten auch, Handwerksbetriebe wie Tischler und Autotuner. Die große Freifläche ist jedoch fest in der Hand der Metaller aus dem Tacheles, die sich hier nun weitgehend ungestört ihrer Arbeit widmen können. Leider waren die Damen und Herren Künstler – sofern anwesend – leider zu beschäftigt, um mit uns zu sprechen, deswegen müsst Ihr Euch mit Bildern statt Insider-Infos begnügen:
Ebenfalls vor Ort das Berlin Farm Lab und die gemeinsam mit der UDK veranstaltete Summer School for Applied Autonomy. Ein Urban Gardening Projekt, bei dem Künstler für jeweils kurze Zeit autonom auf dem Gelände leben, also selbst gezogenes Gemüse essen und tauschen. Robert (siehe Foto) einer der Initatioren war zum Glück etwas gesprächiger als die Künstler und hat uns durch “sein” Freiluft-Labor gefühtt. Grundsätzlich geht es darum Methoden zur nachhaltigen Ressourcen-Nutzung zu entwickeln, also alles vom urbanen Gemüse-Anbau, über Kochen mit Sonnen-Energie und Methoden zur Kompostierung menschlicher Ausscheidungen. Letzteres wollten wir uns ehrlich gesagt nicht allzu genau erklären lassen, auch wenn Robert versichert hat, man könne dank einer geheimnisvollen Substanz/Behandlung die Farbeimer, die die Bewohner der Summer School als Klo benutzen, gefahr- und geruchslos öffnen. Wir glauben ihm das jetzt einfach mal und finden’s total toll, dass es Menschen gibt, die sich freiwillig mit so etwas beschäftigen, aber es soll ja auch Leute geben, die Ketten-Öl und Reifengrind irgendwie eklig finden.
Hier wird sich in Zukunft sicher noch deutlich mehr tun, im September ist z. B. noch der geplante Produktionsstart für das erste in Marzahn gebraute Bier geplant, Der Marzahner. Vielleicht ist das ja dann doch ein positiver Nebeneffekt von Verdrängung und Gentrifizierung, das Orte wie die alte Börse näher an das Stadtzentrum rücken, so lange bis die Vorreiter auch da vertrieben werden und sich irgendwann einfach eine andere aufregende Metropole suchen.