Das Café Achteck
Eine kurze Geschichte gründerzeitlicher Pissoirs
Als Café Achteck werden in Berlin die ab 1863 errichteten öffentlichen WCs aus grünen gusseisernen Platten bezeichnet, von denen viele einen achteckigen Grundriss hatten, einige von diesen Urinalen aus der Kaiserzeit stehen noch immer in der Stadt.
Mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann das Wachstum Berlins so richtig Tempo aufzunehmen. Landflucht und Industrialisierung mit Berlin als politischem, industriellem und kulturellem Zentrum befeuerten diesen Aufstieg zur Metropole. Die Bevölkerung wuchs von ca. 700.000 Menschen 1870 auf fast 2 Millionen im Jahr 1919.
Eines der Probleme des Wachstums war natürlich die Hygiene; wo viele Leute zusammenkommen, entsteht viel Dreck – menschlicher Dreck. Aus heutiger Sicht schwer vorstellbar, aber bis Anfang der 1870er hatte Berlin keine echte Kanalisation. Erst 1869 erhielten James Hobrecht – ehemals Regierungsbaumeister und Urheber des Hobrechtsplanes (https://de.wikipedia.org/wiki/Hobrecht-Plan), der bis heute das Bild Berlins prägt – und Rudolf Virchow den Auftrag, ein Abwasser-System aus 12 Radialsystemen und Rieselfeldern zu errichten. Diese sogenannte Mischwasser-Kanalisation ist seitdem weitgehend unverändert in Betrieb und sorgt heute für eine Reihe typischer Probleme.
Zurück ins 19.Jahrhundert; gerüchteweise gab es an der Nikolaikirche zwar schon ab 1824 ein öffentliches Pissoir, ansonsten hat man sich’s halt verkniffen, wenn man unterwegs war oder einfach irgendwo in die Ecke geschifft, wie heute gern die feiernden Meuten rund um die Oberbaumbrücke.
Privathäuser hatten bis dahin meist einfache Latrinen im Hof. Gelegentlich wurden diese entleert und die “Jauche” als Dünger an den Stadtrand gefahren. Insgesamt ein eher unappetitlicher Zustand, der für ein gewisses Aroma in Berlins Straßen gesorgt haben dürfte.
Wenig verwunderlich also, dass der Ruf nach öffentlichen “Urinieranstalten” immer lauter wurde. Da die Polizei für alle Angelegenheiten auf und unter öffentlichen Straßen zuständig war, die Kosten aber nicht übernehmen wollte, entstand schon bald ein Spottvers auf den damaligen (ca. 1850) Polizeipräsidenten Karl Ludwig von Hinckeldey:
Ach lieber Vater Hinckeldey
mach uns für unsre Pinkelei
doch bitte einen Winkel frei
Ganz offensichtlich ein Thema, das die Berliner beschäftigt hat. 1862 einigten sich die Stadtväter schließlich auf die Errichtung und Finanzierung von zunächst 30 Bedürfnisanstalten. Ein Jahr später waren insgesamt schon 60 “zweiständige Urinale” errichtet. Der Grundriss war damals noch meist oval und deutlich kleiner als die späteren Café Achteck. Allerdings waren auch schon diese ersten Einrichtungen durchaus anspruchsvoll gestaltet, aus in freundlichem grün lackierten gusseisernen Platten. Wenn man schon Bauten mit einer so delikaten Bestimmung wie der Verdauung bzw. deren Folgen errichten muss, sollten diese wenigstens ansprechend sein. So kam es, dass sich selbst der Pöbel in stilvollem Ambiente an die Pinkelrinne stellen konnte. Florale Muster, Tageslicht, alles wirklich sehr hübsch und kein Vergleich mit den heutigen City-Toiletten, die mit etwas Fantasie vielleicht an den Eingang zur Geheimbasis eines Bond-Schurken erinnern aber das Stadtbild mit ihrer Sci-Fi-Ästhetik nicht wirklich bereichern. So pflegte Berlin seinen Ruf als Weltstadt mit Niveau auch in den Niederungen menschlichen Daseins.
Dem Zeitgeist entsprechend waren diese erste Anlagen ausschließlich für Männer gedacht, Frauen mussten sehen wo sie bleiben – am Besten zu Hause wahrscheinlich – aus “Sicherheits- und Schicklichkeitsgründen”. Für sie gab es nur ganz vereinzelt Angebote in öffentlichen Gebäuden wie dem Roten Rathaus. Da die Stadt weiter wuchs und damit das Bedürfnis an sich, waren die Anlagen, gleich für welches Geschlecht sie gedacht waren bald zu klein, und man ging dazu über “7-ständige” Urinale (das Wort haben wir uns nicht ausgedacht, sondern scheint tatsächlich so etwas wie ein Fachbegriff zu sein) auf einem achteckigen Grundriss zu errichten – das Café Achteck war geboren.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts änderte sich die Gestaltung erneut, zwar wurden noch einzelne Anlagen aus Gusseisen gebaut, in der Regel wurde aber nun aus Stein oder Holz gebaut. Vielerorts wurden die nun neu entstehenden Toiletten baulich in die Umgebung eingepasst, wie z.B. am Wittenbergplatz, wo der Architekt des wunderschönen U-Bahnhofes Alfred Grenander auch gleich die Klos mit gestaltet hat. Heute werden diese übrigens als Imbiss (mit einer famos leckeren Bio-Currywurst) genutzt. Auch an anderen Stellen fanden nach dem Krieg Umwidmungen statt, am Volkspark Wilmersdorf ist z. B. ein Kiosk untergebracht und am Schlesischen Tor bietet eine der großen rechteckigen Anlagen dem Burgermeister eine Heimat, eines der beliebtesten Burgerläden der Stadt. Neben dieser Anlage stehen berlinweit 17 Einrichtungen unter Denkmalschutz. Einige dienen nach wie vor ihrer ursprünglichen Bestimmung, andere verrotten vor sich hin. Die noch “aktiven” Café Achtecks und ihre nahen Verwandten werden, wie auch die City-Toiletten, von der Firma Wall betrieben.
Im Ergebnis bleiben wunderschöne, unverwechselbare Stadtmöbel mit einer langen Geschichte, die untrennbar mit Berlin verbunden sind. Falls Ihr Euch selbst mal auf Klotour begeben wollt, habe ich die Standorte, der mir bekannten Café Achtecks und ihrer nahen Verwandten in eine Karte eingetragen:
Quellen: wikipedia, Luise-Berlin, Berliner Zeitung