Die BoBs auf Abwegen: Berlin-Spreewald Radtour
Radtour durchs südliche Brandenburg
[Disclaimer] Für mich als Wessi sind große Teile Brandenburgs immer noch weiße Flecken auf meiner internen Landkarte. Als Kartograph früherer Jahrhunderte hätte ich spätestens 30 km jenseits der Stadtgrenzen begonnen aus lauter Verlegenheit Monster und pompöse Siegel zu pinseln. Für uns war das Umland einfach nicht existent – wir sind entweder in den Grunewald gefahren oder gleich Richtung Italien. Nun könnte man meinen, dass diese Ausrede 25 Jahre nach dem Mauerfall auch nicht mehr besonders glaubwürdig ist. Stimmt auch. Irgendwann wurde es einfach peinlich und ich habe beschlossen diesem Zustand ein Ende zu setzen. Dank netter und zur Nachhilfe bereiter Kollegen klappte das in diesem Jahr auch erstaunlich gut und die weißen Flecken werden langsam weniger.
Bildergalerie Spreewald-Radtour; nicht nur für die Lesefaulen
Nicht das wir berufsmäßig nicht genug Rad fahren würden – kaum droht mal ein freier Tag, werden Pläne geschmiedet, wie man ordentlich Kilometer unter die Reifen bekommt. Wenn man dabei noch ein bisschen Kultur und Heimatkunde betreiben kann, umso besser. Das schöne an Radtouren durch Brandenburg ist, dass sie kaum Vorbereitung erfordern. Nahezu alle Radwege sind gut ausgeschildert, die Radwanderkarten (gibts bei uns für 7 €) sind übersichtlich und die Entfernungen zwischen möglichen Rückreise-Bahnhöfen klein genug für spontane Planänderungen. Wir hatten uns also nur grob vorgenommen mit der Regionalbahn in den Spreewald zu gondeln und von dort Richtung Tagebauseen aufzubrechen. Dank Brandenburg-Ticket (Tageskarte: 29 € für bis zu 5 Personen im Gesamtnetz, Fahrräder gehen extra) ist das Ganze auch finanziell ziemlich entspannt – zumal das Mittagessen unfassbar günstig war.
Von Lübbenau aus folgen wir zunächst einem Radweg, der meist zwischen zwei kleinen Kanälen verläuft. Das Wasser rechts ist rostbraun, wie viele Gewässer im Spreewald. Auch das hängt letztlich mit den weiter südlich gelegenen Tagebauten zusammen und wird durch im Wasser gelöstes Eisenoxid verursacht. Sieht nicht wirklich schön aus, ist für Fische und Pflanzen auch bestimmt nicht toll, aber zum Baden unbedenklich. Uns Berlinern sagt man ja gern mal nach wir würden einen eher rauen Umgangston pflegen und zumindest auf mich persönlich trifft das durchaus zu. Morgens um 7:00 Uhr beim Bäcker finde ich zu viel Freundlichkeit nahezu unerträglich. Entsprechend verwundert war ich, dass uns jeder – wirklich JEDER – entgegenkommende Radler gegrüßt hat. Wir haben ja so viel gemeinsam, Du radelst, ich radle und dann auch noch alle im Spreewald. Versteht mich nicht falsch, ich finde das eigentlich einen schönen Brauch und begrüße das speziell bei längeren Radtouren sehr. Allerdings kommen einem da auch nicht alle 20 Sekunden ganze Gruppen entgegen. Meine beiden Begleiter finden das hingegen ganz normal und so füge ich mich in mein Schicksal. Nach ein paar missglückten Versuchen schaffe ich es sogar ein glaubwürdiges Maß an Begeisterung in meine Stimme zu legen, ohne wie ein überdrehter 9Live-Moderator zu klingen.
Sobald wir aus dem Wald raus sind, dauert es nicht lange bis die Wolken immer dichter und bedrohlicher werden. Skeptisch, ängstlich gar, heben wir ständig den Blick und versuchen den Schauern zu entkommen (“Lass ma da lang, da is noch hell!”).
So gelangen wir zur Slawenburg in Raddusch.
Dieser Teil der Lausitz ist tatsächlich schon lange besiedelt und bis heute von der sorbischen Minderheit geprägt. Viele Ortsnamen werden seit einigen Jahren auch zweisprachig angegeben und Schulkindern wird das Sorbische wieder beigebracht, während die Sorben zu Ost-Zeiten keinen allzu guten Stand hatten. Auf Folklore und ethnisch-kulturelle Eigenheiten konnte und wollte der Staat damals keine Rücksicht nehmen. Letztlich besehen wir uns die Burg nur von außen, 6 € Eintritt für eine Rekonstruktion ist uns verwöhnten Berlinern einfach zu viel.
Gerade noch rechtzeitig flüchten wir in den Gasthof eines typischen 12-Häuser-Kaffs, an dessen Namen ich mich beim besten Willen nicht mehr erinnern kann namens Koswig (Gasthof zur Linde; Matze wusste es noch). Den Regen warten wir trockenen Hauptes bei einem unfassbar günstigen und viel zu frühen Mittagessen ab. Dem drohenden Fresskoma entgehen wir dank des wieder aufklärenden Wetters und machen uns bei leichtem Regen, schön in unsere Festivalponchos gewickelt, wieder auf den Weg.
In Calau (ja genau, das mit den schlechten Witzen á la “Treffen sich zwei Bogenschützen”) gibt es nicht nur einen Witzerundweg sondern auch einen passablen Kaffee am Rathaus. Ansonsten ein Städtchen wie so viele in Brandenburg mit Herrenhaus, noch ein bisschen Stadtmauer und Resten einer Burg. Am Rande erwähnenswert ist vielleicht noch der Fakt, dass die Gegend ähnlich wie die Uckermark einst Hochburg der preußischen Tabakproduktion war.
Der Weg zu den neu entstehenden Tagebauseen führt durch eine wunderbar hügelige Landschaft in der sich dunkle geschichtsträchtige Wälder mit Feldern und Weiden wechseln. Der Himmel wird ganz weit und dank nagelneuer Hightech-Straßen/Radwegen steigen Tempo und Laune gleichermaßen an. Übermütig nutzen wir die ganze Breite der Straße und stoppen wirklich nur zum Kartenstudium. Und für den Napoleonstein natürlich. Dieser Findling diente abrückenden napoleonischen Truppen angeblich als Landmarke, der dank eines Pfeils den Weg zu der vergrabenen Regimentskasse weisen sollte. Gesucht haben schon viele, weswegen die ganze Hügelkuppe eher aussieht wie eine überwucherte Kraterlandschaft. Gefunden hat den Schatz bislang niemand.
In Altdöbern finden wir ein wunderschönes Landgut mit eigenem See, Labyrinth und uraltem Baumbestand, wirklich ein Kleinod, bevor wir endlich unseren ersten Tagebausee zu Gesicht bekommen. Wo vor wenigen Jahren noch Braunkohle in tiefen, offenen Gruben gefördert wurde, entsteht derzeit die größte künstliche Gewässerlandschaft Europas. Die ersten Seen werden wohl 2017 gefüllt sein, die letzten wahrscheinlich noch einmal 20 Jahre später. Die ganze Region wartet auf das Wasser und hofft auf die damit verbundenen Tourismuseinnahmen. Ob die Touristen wirklich jemals kommen werden, ist allerdings längst nicht sicher, aber man ist vorbereitet. Die Wasserkante ist an vielen Stellen noch hunderte Meter vom späteren Ufer entfernt, steile Hänge, zehn, zwölf Meter hoch machen klar welch gigantisches Projekt hier in Angriff genommen wurde. In Großräschen ist zumindest die Uferpromenade schon fertig, der Hafen gerade im Bau. Weil aber so noch nicht allzu viel zu sehen ist, prangt überall der weiße Schriftzug “See” auf blauem Grund. So wird wenigstens typographisch klar, was hier vor sich geht. In südöstlicher Richtung ist man da schon einen Schritt weiter und kann tatsächlich schon schwimmen. Das aber schauen wir uns beim nächsten Mal an und steigen glücklich, erschöpft und völlig ausgehungert nach knappen 80 km Fahrradtour wieder in den Regionalexpress nach Berlin.
Fazit: Spreewald geht immer, alte Kultur- und Industrielandschaft teils im rasanten Wandel, teils seit Jahrhunderten gleich verschlafen; gute Luft, gutes Essen und das Ganze grad mal eine Stunde von Berlin entfernt. Also auch wenn es nicht als Produkt auf der Website steht: wir machen nicht nur privat Radtouren durch Brandenburg, sondern viel lieber mit Euch. Bei Interesse schreibt uns einfach eine Mail, dann stellen wir Euch eine schöne Route zusammen: contact@berlinonbike.de oder ruft an.
Ride Safe!
Sasch
P.S. Mir fällt grade auf, dass ich einen ganzen Artikel über den Spreewald ohne Gurken geschrieben habe, das geht irgendwie nicht. Also: Gurke, Gurkensalat, Gurkenernte, Gurkenradweg. Das muss reichen, ich kann die Dinger nicht leiden 😀