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10. September 1989 – Gründungsaufruf zum Neuen Forum

New Structures, New Forum

The founding call “The Time is Ripe – Aufbruch 1989,” published on September 10, 1989, marks another milestone towards creating democratic structures in the GDR. An illustrious group of artists, scientists, students, church figures, and workers called on all GDR citizens to engage in democratic dialogue and participate in reshaping society. Besides the intentionally heterogeneous composition, it is noticeable that initially, no concrete political demands were formulated. In hindsight, it is plausible that this laid the groundwork for the forthcoming fragmentation. If the smallest common denominator is the realization that “This cannot continue,” then such an association quickly loses its justification once this realization reaches a majority of people.

In principle, the GDR constitution did allow private citizens to form associations as long as they respected the principles and goals of the constitution. Nevertheless, it is hardly surprising that the official registration of the New Forum (NF) submitted on September 19, 1989, was rejected. On September 21, the state news agency ADN already labeled the New Forum as hostile to the state and the constitution, and on the 25th, the rejection was finalized, citing no necessity for such an agreement.

Demonstration Neues Forum

At this point, however, nearly 3,000 people had already signed the call, mostly spread on handwritten notes. By the end of the year, this number rose to almost 200,000 signatories with 10,000 regular members. Amidst the growing calls for change and the steadily increasing Monday demonstrations, the NF provided a sort of initial structure, a framework within which the opposition could develop. The support from Protestant churches significantly contributed to the rapid spread of the call.

Many West Germans have now forgotten that reunification was hardly a concern for anyone back then. The New Forum, like other groups, naturally assumed the continued existence of two states. The goal was not merely to replicate the social market economy of West Germany but rather to democratize the GDR. By the end of January 1990, several calls for the formation of a party emerged from the Forum’s environment. After heated disputes, a faction of members split off and formed the German Forum Party, which merged into the FDP after reunification. On February 6 – by which time the NF had already removed the DDR’s sovereignty from its program – the remaining members joined two other civil rights organizations to form Alliance 90 to contest the People’s Chamber elections on March 18. Subsequently, they allied with the West German Greens to form the all-German party Alliance 90/Greens.

During this period, the “Round Tables” established played a central role, with the New Forum and other civil rights activists at the forefront. This dialogue was sometimes the actual purpose. While the New Forum continues to exist today, it is politically insignificant. Occasionally, representatives of the Forum hold positions in local councils. Among those active at the time, only Bärbel Bohley is a familiar name to the moderately interested today.

Neues Forum – Die Wende bekommt erste Strukturen

Der am 10. September 1989 veröffentlichte Gründungsaufruf “Die Zeit ist reif – Aufbruch 1989” ist ein weiterer Meilenstein zur Schaffung demokratischer Strukturen in der DDR. Eine illustre Truppe von Künstlern, Wissenschaftlern, Studenten, Kirchenleuten und Arbeitern, forderte darin alle DDR-Bürger zu einem demokratischen Dialog und der Teilhabe an der Umgestaltung der Gesellschaft auf. Neben der sicherlich beabsichtigten, sehr heterogenen,  Zusammensetzung fällt auf, dass zunächst keinerlei konkrete politische Forderungen formuliert wurden. Im Nachhinein liegt der Schluss nahe, dass dadurch auch schon die kommende Zersplitterung vorbereitet wird. Wenn der kleinste gemeinsame Nenner die Erkenntnis ist  “So kann es nicht weitergehen”, dann verliert eine solche Vereinigung schnell seine Daseinsberechtigung sobald diese Erkenntnis eine Mehrzahl der Menschen erreicht.

Grundsätzlich sah die DDR-Verfassung durchaus vor, dass Privatbürger Vereinigungen gründeten, so lange Grundsätze und Ziele der Verfassung geachtet würden. Dennoch ist es nur wenig verwunderlich, dass die am 19. 09. 1989 eingereichte offizielle Anmeldung des Neuen Forums (NF) abschlägig beschieden wurde.  Bereits am 21.09. bezeichnete die staatliche Nachrichtenagentur ADN das Neue Forum als staats- und verfassungsfeindlich, bevor am 25. endgültig die Ablehnung erfolgte – mit der Begründung, es bestünde keine Notwendigkeit für eine derartige Vereinbarung.

Demonstration Neues Forum

ADN-ZB Oberst 10.12.89 Berlin: Das Neue Forum hatte zu einer Demonstration anläßlich des bevorstehenden Internationalen Tages für Menschenrechte aufgerufen. An der Spitze des Zuges lief der Mitbegründer des Neuen Forum Prof. Jens Reich (2.v.l.) (Bundesarchiv, Bild 183-1989-1210-006 / CC-BY-SA)

Zu diesem Zeitpunkt hatten allerdings schon knapp 3.000 Menschen den Aufruf unterzeichnet, der zumeist auf per Hand abgetippten Zetteln verbreitet wurde. Bis zum Jahresende stieg diese Zahl auf fast 200.000 Unterzeichnern bei 10.000 regulären Mitgliedern.  Den immer lauter werdenden Rufen nach Veränderung und stetig wachsenden Montagsdemonstrationen bot das NF so etwas wie eine erste Struktur, einen Rahmen innerhalb dessen sich die Opposition entwickeln konnte. Erheblichen Einfluss hatte in diesem Zusammenhang die Unterstützung durch die protestantischen Kirchen, die maßgeblich zu der schnellen Verbreitung des Aufrufs beigetragen haben.

Gerade viele Westdeutsche haben mittlerweile vergessen, dass die Wiedervereinigung damals für kaum Jemanden eine Rolle spielte. Das Neue Forum wie auch andere Gruppen ging wie selbstverständlich von einer weiter bestehenden Zweistaatlichkeit aus. Ziel war auch nicht eine simple Kopie der sozialen Marktwirtschaft westdeutscher Prägung, sondern vielmehr die demokratische Umgestaltung der DDR. Ende Januar 1990 ergingen aus dem Umfeld des Forums mehrere Aufrufe zur Gründung einer Partei. Nach teils heftigen Streitigkeiten spaltete sich ein Teil der Mitglieder ab und gründete die Deutsche Forumpartei, die nach der Wiedervereinigung in der FDP aufging. Am 06. Februar – zu diesem Zeitpunkt hatte das NF die Eigenstaatlichkeit der DDR bereits aus ihrem Programm gestrichen –  schlossen sich die verbliebenen Mitgliedern mit zwei weiteren Bürgerrechtsorganisationen zum Bündnis 90 zusammen um gemeinsam bei den Volkskammerwahlen am 18. März anzutreten. In der Folge tat man sich mit den westdeutschen Grünen zur gesamtdeutschen Partei Bündnis 90/Grüne zusammen.

Bei den während dieser Periode etablierten “Runden Tischen” spielten das Neue Forum und andere Bürgerrechtler eine zentrale Rolle. Dieser Dialog war mitunter der eigentliche Daseinszweck. Zwar besteht das Neue Forum bis heute fort, ist aber politisch kaum noch von Bedeutung. Vereinzelt stellen Vertreter des Forums Mitglieder kommunaler Gremien. Von den damals Aktiven ist dem mäßig Interessierten heute nur noch Bärbel Bohley ein Begriff.