Radtour von Schöneberg zum Teufelsberg Teil 1
Unsere Radtour von Schöneberg zum Teufelsberg Teil 1
In den letzten Blog-Beiträgen haben wir uns meistens einen Bezirk näher angeschaut, dabei waren Pankow, Weißensee und Lichtenberg. Dieses Mal macht aber das Ziel den Weg, es soll ja nicht langweilig werden. Unser Pankow-Urgestein Martin kennt nämlich eines der absoluten Highlights im Westen der Stadt noch nicht – den Teufelsberg. Also suchen wir uns einen günstigen Startpunkt für alle und los geht es. Bei dieser, unserer bisher längsten Tour im Lockdown, gibt es so viel zu berichten, dass wir dieses Mal den Tourbericht in zwei Folgen aufgeteilt haben. Ihr findet aber die Komoot-Route zum selber Radeln schon hier am Ende des Artikels.
Park am Gleisdreieck
Wir starten am Park am Gleisdreieck. Für Berliner ist dieser noch relativ junge Park sicher kein Geheimtipp mehr, für Berlin-Besucher schon eher. Der 2013 eröffnete Park liegt auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter und Potsdamer Güterbahnhofs zwischen Kreuzberg und Schöneberg. Gleisreste und andere Überbleibsel aus der großen Zeit der Eisenbahn finden sich noch überall, allein die Ausmaße des Parks zeigen wie wichtig dieses Transportmittel einmal war. Das Gelände wirkt aber trotzdem sehr urban und modern – mit Skater-Anlage, den Hochbahntrassen der U1 und U2, die den Park überqueren, und dem Blick auf Potsdamer Platz und teure Neubauten. Ganz groß ist hier auch das Thema Graffiti, an der Skater-Anlage gibt es eine Wand, an der legal gesprüht werden darf und es immer etwas zu entdecken gibt. Das Ganze ergibt eine Mischung, die nicht nur uns ausgesprochen gut gefällt, der Park ist auch bei den Anwohnern extrem beliebt.
Generalszug
Bevor es weitergeht, hat Wollo aber noch einen interessanten Blick in die Vergangenheit für uns auf Lager. An der Ost-Seite des Parks mit Blick auf Horn- und Gneisenaustraße stellen wir fest, dass hier irgendetwas seltsam aussieht. Dieser schön angelegte Straßenzug führt am Park in eine Sackgasse.
Wir blicken auf eine Planung von DEM Meister aller preußischen Gärten – Peter Joseph Lenné. Kann sich der für seine Sichtachsen berühmte Gartenkünstler etwa so vertan haben? Bis ins 19. Jahrhundert herrschte im damals schon rasant wachsenden Berlin viel Wildwuchs, gebaut wurde, wo es Platz gab. Das änderte sich erst durch Lenné, der 1840 einen der ersten Gesamtpläne für Berlin erstellte, und den darauf folgenden Hobrechtplan. Lenné entwarf eine Folge von breiten Straßen und Plätzen, die eine Ost-West-Verbindung für den steigenden Verkehr schuf und vom Breitscheidplatz bis zum Südstern führte. Zwei am Ende des 19. Jahrhunderts gebaute Kirchen, die Evangelische Garnisonskirche am Südstern im Osten und die Gedächtniskirche im Westen, schlossen die Sichtachse ab. Die auf dem Generalszug liegenden Straßen und Plätze wurden nach siegreichen Generälen oder Schlachten der Befreiungskriege gegen Napoleon benannt, Yorck, Gneisenau oder Tauentzien.
So und was hat es jetzt mit unserer Sackgasse auf sich? Ganz einfach, der unaufhaltsame Aufstieg der Eisenbahn kam dazwischen. Die erste preußische Eisenbahnverbindung zwischen Berlin und Potsdam eröffnete 1838. Als der Generalszug in die Tat umgesetzt wurde, hatten sich die oben schon erwähnten Bahnanlagen der Anhalter, Potsdamer und Dresdner Bahn schon so weit ausgebreitet, dass sich die Bahngesellschaften bei den ursprünglichen Plänen buchstäblich quer stellten. Ein jahrzehntelanger Kampf entbrannte, der leicht an heutige Kontroversen erinnert. Der Straßenzug wurde schließlich mit der weiter südlich liegenden Yorckstraße und den damals 45 Yorckbrücken fertiggestellt. Die “Umleitung” sieht man noch heute auf jedem Stadtplan.
Winterfeldtplatz
Wir durchqueren den Park und verlassen ihn an seiner Westseite in Schöneberg am Dennewitzplatz. Hier geht es vorbei an der Lutherkirche, die auch am Generalszug ausgerichtet ist und heute der Gemeinde der American Church in Berlin gehört.
Unterwegs entdecken wir wieder ein paar schöne Street Art Kunstwerke. Die ganze Gegend lohnt sich in dieser Hinsicht sehr, da sich das der Street Art gewidmete Museum Urban Nation gleich um die Ecke befindet und auf das Umfeld ausstrahlt.
Wir halten als Nächstes mit Blick auf den Winterfeldtplatz, ebenfalls benannt nach einem preußischen General. Am bekanntesten dürfte der Platz für die umliegende Café- und Kneipenszene und den jeden Mittwoch und Samstag stattfindenden Wochenmarkt sein, der der größte Berlins ist. Markant sind hier vor allem die katholische Kirche St. Matthias und das auffällige von Hinrich Baller entworfene Wohnhaus an der Ostseite des Platzes mit seinen spitzen, in die Luft ragenden Balkonen. Baller hat einige Häuser in West-Berlin geplant z. B. am Fraenkelufer, die sich, obwohl er moderne Materialien wie Beton, Stahl und Glas verwendete, nicht so recht einem Architekturstil zuordnen lassen.
Maaßen- & Motzstraße
Im Norden des Platzes inspizieren wir die erste sogenannte Begegnungszone Berlins. Die Idee hinter dem aus den Niederlanden importierten Konzeptes ist, dass sich alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt begegnen sollen, der Autoverkehr soll reduziert werden, die Sicherheit für Fußgänger und die Aufenthaltsqualität erhöht. Diese Idee ist hier durch Poller, Blumenkübel und Sitzbänke mit Sicherheit nicht ganz verwirklicht worden, aber wir finden weniger Autos natürlich grundsätzlich gut. Heute tummeln sich hier schon einige Leute, die Zone könnte aber sicher noch etwas schöner gestaltet werden. Und wenn die Gastronomen wie in Corona-Zeiten ihre Tische weiter auf den Platz räumen dürfen, bekommt das Ganze vielleicht doch irgendwann das Flair einer italienischen Piazza.
Gleich geht es weiter, aber vorher erzählt uns Wollo noch kurz etwas zum gleich um die Ecke am Nollendorfplatz gelegenen Metropol-Theater. Das Theater, das 1905 als Neues Schauspielhaus eröffnet wurde, hat schon viel gesehen: vom Haus der leichten Muse fürs bürgerliche Publikum über Erwin Piscators politisches Theater bis zum Porno-Kino in den 70ern. In den 80ern wurde das Metropol dann zu eine der hippsten Diskos der Stadt, die auch die Prominenz anzog, Depeche Mode und viele andere traten hier auf. Im Jahr 2005 wurde das Metropol unter großem Getöse als Goya wieder eröffnet. Mit dem Umbau unter Stararchitekt Hans Kohlhoff wurde hier geklotzt, die Finanzierung lief zum Teil über Aktien, für 3960 Euro konnte man lebenslang freien Eintritt für sich und zwei Begleiter erwerben. Der selbsternannte “Nachtclub der Superlative” scheiterte jedoch am eigenen Konzept, das ein älteres zahlungskräftigeres Publikum ansprechen wollte. Denn was machen wir Ü30-er am Wochenende? Mmmh, etwas Kultur, Kochen, Netflix, Bar und wenn wir ganz verrückt sind, gehen wir mal tanzen – 2 Mal im Jahr. Und so war es auch im Goya, das grandios am ausbleibenden Publikum scheiterte.
Wir radeln weiter durch die Motzstraße, in der zahlreiche Regenbogenflaggen darauf hinweisen, dass wir uns im Zentrum der Schwulen- und Lesbenszene Berlins befinden. In dieser Stadt, in der durch die Teilung alles mindestens zwei Mal vorhanden ist, darunter Opern, Zoos und Universitäten, war diese Szene einzigartig, einen vergleichbaren Hotspot gab es in Ost-Berlin nicht. Diese Tradition reicht mittlerweile 100 Jahre zurück, denn schon in den Goldenen Zwanzigern gab es rund um den Nollendorffplatz bereits um die 40 schwule und lesbische Lokalitäten. Heute gibt es nicht nur Bars und Clubs, sondern auch szenefreundliche Hotels, Apotheken, Fetischläden oder Fitness-Clubs. Was gern vergessen wird, die Gegend war in den 80ern auch ein Zentrum der Hausbesetzer-Szene. Wohl mit ein Grund, dass es hier lebendiger zugeht als an einigen anderen Orten im gediegenen Westen und es uns hier so gut gefällt.
Viktoria-Luise-Platz
Genau dahin, ins gediegene West-Berlin verschlägt es uns nur wenige Meter weiter. Wir halten am Viktoria-Luise-Platz und bestaunen die ganze Pracht der Gründerzeit. Wie auch andernorts wuchs die Stadt in dieser Gegend Ende des 19. Jahrhunderts rasant, in Schöneberg von knapp 5000 Einwohnern zur Reichsgründung 1871 bis auf fast 100.000 im Jahr 1900. Im Jahr 1898 bekam die Gemeinde Schöneberg dann das Stadtrecht verliehen. Schöneberg war da schon sehr beliebt bei der wohlhabenderen Bevölkerung, hier lebten viele Beamte und Militärs. Um das neu entstehende Viertel bei dieser zahlungskräftigen Zielgruppe besser vermarkten zu können, wurde mit dem Viktoria-Luise-Platz ein repräsentativer Schmuckplatz angelegt. Durch die 6 hier aufeinander zulaufenden Straßen bekam der Platz seine charakteristische sechseckige Form. Der ganze Stolz Schönebergs kam dann 1910 hinzu, als die Schöneberger Bahn eröffnet wurde, heute die U-Bahn-Linie 4 mit nur 5 Stationen zwischen Nollendorff- und Innsbrucker Platz, eine davon hier.
Eine schöne Geschichte, die sich hier zugetragen hat, haben wir einmal auf einer anderen Tour gehört, als wir zusammen mit unserem Guide Torsten hier das jüdische Berlin erkundet haben. Einer der prominenten Bewohner des Platzes, an den auch eine Gedenktafel erinnert, war der später weltberühmte Regisseur Billy Wilder. Dieser lebte hier an der Ecke zur Münchener Straße damals noch sehr bescheiden zur Untermiete. Eines Nachts floh der bekannte Filmproduzent Galitzenstein nur in Unterhosen bekleidet aus der Wohnung einer Nachbarin und fand Unterschlupf bei Wilder. Dieser erkannte ihm und verkaufte ihm daraufhin sein erstes Drehbuch. Könnte so auch glatt aus einer von Wilders Filmkomödien stammen.
Im nächsten Teil der Tour tauchen wir in die jüdische Geschichte Schönebergs ein und finden ein paar Zeugnisse des Kalten Kriegs.