Berlin Ausstellung im Humboldt-Forum: “Berlin Global” und Humboldt-Labor
Die Berlin Ausstellung im Humboldt-Forum: “Berlin Global” und Humboldt-Labor
Berlin hat jetzt ein Schloss. Da konnten wir uns die letzten Wochen mit freiem Eintritt natürlich nicht entgehen lassen und haben uns die Ausstellung “Berlin Global” im Humboldtforum angeschaut. Dabei ging es natürlich nicht nur darum die erste große Ausstellung im Humboldtforum zu sehen sondern auch, den Bau an sich zum ersten Mal so richtig zu erleben. Das Gebäude selbst wollen wir hier nicht eingehend bewerten, dazu findet ihr einen interessanten Gastbeitrag hier. Nur so viel sei gesagt, es ist eindrucksvoll und merkwürdig zugleich, durch die Portale des riesigen Gebäudes in einen der Innenhöfe zu schlendern. Der Bau überwältigt einen geradezu. Im Hof muss man sich dann erst einmal zurecht finden, aber obwohl wir etwas spät dran waren für unser Zeitfenster, haben wir es dank des hilfreichen Personals rechtzeitig geschafft.
Ein Blick in die Ausstellung “Nach der Natur” im Humboldt-Labor der Humboldt-Universität
Zunächst statten wir der Ausstellung “Nach der Natur” im Humboldt-Labor eine Stippvisite ab. Begrüßt werden wir von der Simulation eines Fischschwarms, der auf die Bewegungen des Besuchers reagiert. Das ist auf jeden Fall schon mal sehr schick und visuell ein toller Auftakt.
In dem großen Ausstellungsraum dominiert eine 25 Meter und 6 Meter hohe Videoleinwand und viele bewegliche Vitrinen, die von der Decke hängen. Hier werden Objekte und Forschungsergebnisse aus den Sammlungen der Humboldt-Universität gezeigt. Auf der Videoleinwand präsentieren Berliner Wissenschaftler Forschungsansätze von zwei der Berliner Exzellenz-Cluster, die sich mit “Herausforderungen für die liberale Demokratie” und der Transformation von Mensch-Umwelt-Systemen beschäftigen. Das ist auf jeden Fall spannend, aber die Beantwortung der Frage wie die Krise der Natur und die Krise der Demokratie zusammenhängen, die die Ankündigung der Ausstellung verspricht, ist zumindest für mich wohl doch zu komplex, um sich mir auf diese Weise zu erschließen. Der Aufbau der Ausstellung soll an historische Wunderkammern anknüpfen, wie sie sich früher oft in Schlössern wie dem Berliner Schloss fanden. An vielen Stellen kann man hier interessante Objekte entdecken, was dahinter steckt und wo Verknüpfungen bestehen, wird mir aber nicht immer klar. Trotzdem finde ich es schön, dass die Humboldt-Universität mit ihrer Forschung hier ein Fenster bekommen hat durch das auch der Normal-Bürger einen Einblick gewinnen kann und da die Ausstellung entsprechend der Forschung laufend aktualisiert werden soll, bleibt es sicher interessant.
“Berlin Global” im Humboldt-Forum – Berlin und die Welt
Weiter geht es dann zu unserem eigentlichen Haupt-Event heute – der Ausstellung “Berlin Global“. Worum es geht, wissen wir vorher nur in Ansätzen, Berlin und seine Beziehungen zur Welt. Wie haben die Stadt und ihre Bewohner die Welt beeinflusst und wie wirkt die Welt auf Berlin. Am Eingang bekommen wir erstmal ein Chip-Armband, das dazu da ist mit der Ausstellung zu interagieren und an bestimmten Stellen abzustimmen. Wie das aussehen soll, wissen wir noch nicht.
Der erste Raum empfängt uns futuristisch. An der der Decke hängt eine große Weltkugel, die an einen Fußball erinnert und auf der Lichtspuren Verbindungen auf der Welt anzeigen. Darunter kann man sich an Displays mit seinem Chip-Armband einloggen. Dabei bekommt man einen persönlichen Ton zugewiesen, der einen durch die Ausstellung begleitet. Der Raum wird ansonsten von dem riesigen Wandgemälde “Weltdenken” der Künstler How and Nosm dominiert, das an die in Berlin so weit verbreitete Streetart-Art erinnert. Das Mural greift Themen der Ausstellung vorweg: die Brüder Humboldt, die zu den Wissenschaftlern des 19. Jahrhunderts gehörten, die von Berlin aus die Welt erforschten, aber auch die Aufteilung der Welt während des Kolonialismus, wie im 17. Jahrhundert mit der Gründung der ersten deutschen Kolonie durch das Königtum Preußen in Ghana, werden prominent dargestellt. Wir sind hier ehrlich gesagt eher mit der Technik beschäftigt als uns mit den Details des Gemäldes zu beschäftigen, beim nächsten Besuch werde ich mir das aber mit Sicherheit nochmal genauer anschauen.
Der nächste Raum stimmt mit großen Foto-Collagen auf die Themen der Ausstellung ein. Die Geschichte der Stadt wird anders als im Märkischen Museum nicht chronologisch erzählt, das Team um Kurator Paul Spies hat sich in “Berlin Global” an den Themen Revolution, Krieg, Freiräume, Grenzen, Mode, Vergnügen und Verflechtung orientiert, die prägend für die Stadt waren und immer noch sind.
Im Raum zum Thema Revolution können Besucher an einem runden Tisch drehen, danach wird jeweils ein raumgreifender Film zu den Revolutionen von 1848, 1918, 1953, 1968 oder 1989 abgespielt. Das Drehen funktioniert allerdings nur, wenn sich genug Besucher gleichzeitig versammeln und zeigt, dass es für eine Revolution eben viele braucht.
Ein Grund, warum die Popularität Berlins in der Welt nicht abreißt, ist sein Image als Ort der Freiheit. Im Raum “Freiräume” präsentieren sich u. a. zwei ehemalige Schöneberger Jugendzentren selbst. Darunter das Jugendzentrum Potse, das mittlerweile die Zusammenarbeit wegen des Umgangs mit europäischer Kolonialgeschichte und Raubgut in anderen Teilen des Humboldtforums beendet hat. Besonders eindrucksvoll ist die Darstellung des von Magnus Hirschfeld gegründeten Instituts für Sexualwissenschaft. Die Geschichte des 1919 gegründeten Instituts, des ersten seiner Art weltweit und Anlaufpunkt für zahlreiche Homo- und Transsexuelle, wird von der ehemaligen Hausangestellten Dorchen, dargestellt von Tima die Göttliche, erzählt. Sie war der erste Mensch, bei dem eine vollständige Geschlechtsangleichung von Mann zu Frau geglückt ist. Das Institut wurde kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 geplündert und geschlossen.
Auf die Bedrohung von Freiräumen verweist auch, das Kunstwerk “Begräbnis bezahlbarer Mieten”, das das Künstlerkollektiv “Rocco und seine Brüder” 2016 an einer Straßenecke in Kreuzberg installiert und für die Ausstellung wiederhergestellt hat. Die Explosion der Mieten in Berlin, die Freiräume in der Stadt verschwinden lässt, ist eins der aktuellen Themen, das die Ausstellung aufgreift.
Die Armbänder kommen zum Einsatz, wenn man sich von Raum zu Raum bewegt. Jeder Raum hat zwei Übergänge, über denen Aussagen wie “Ich sorge mich um die Welt” vs. “Ich kümmere mich um mein Umfeld” stehen. Der Besucher entscheidet sich für eine dieser Türen und bekommt am Ende eine Auswertung. Das kann vielleicht als nettes Gimmick erscheinen, führt aber dazu, dass der Besucher sich zu den Themen der Ausstellung positioniert. Die Ausstellung fordert aber auch auf andere Weisen zur Partizipation heraus, an einer Geruchsstation gibt es z. B. typische Berliner Gerüche zu erschnuppern von Rosenduft bis zur eher unangenehmen Regenpfütze. Den Behälter mit der Hundekacke haben wir zum Glück nicht erwischt.
Besonders schön finden wir auch, dass an gut gewählten Stellen der Blick nach draußen möglich ist. Fernrohre lenken den Blick in die Stadt und ermöglichen so ungeahnte Ausblicke, die Bronzereliefs aus DDR-Zeiten an der Hochschule für Musik, die an die Ausrufung der sozialistischen Republik durch Karl Liebknecht 1918 und an Karl Marx erinnern, sind mir vorher noch nie aufgefallen.
Weitere Highlights entdecken wir im Raum “Vergnügen”. Hier steht die originale Eingangstür aus dem Techno-Club Tresor. Der Club wurde 1991 im Keller des ehemaligen Kaufhauses Wertheim eröffnet, im früheren Tresorraum. Die letzten Reste des Kaufhauses lagen vorher fast 30 Jahre unzugänglich im Grenzstreifen zwischen Ost und West am Leipziger Platz. Die Tür steht dabei für wesentlich mehr als das Aufleben der Techno-Kultur im Berlin der 90er sondern auch für die 100 Jahre Berliner Geschichte davor, die Arisierung jüdischen Besitzes wie dem der Familie Wertheim unter den Nazis, die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg und das vergessene Niemandsland zwischen Ost und West während der Teilung Berlins (eine tolle Foto-Dokumentation zur Geschichte der Stahltür findet ihr hier).
Weiter geht es in die begehbare Diskokugel, in der man über Kopfhörer zu Berliner Musik aus den unterschiedlichsten Epochen tanzen kann. An weiteren Stationen geht es um verschiedene Aspekte Berliner Vergnügungskultur. Besonders gefallen hat uns hier, wie der HipHop von der Bronx nach Ost- und West-Berlin kam und die eindrucksvolle Lebensgeschichte von Bayume Mohamed Husen, der als Kindersoldat im 1. Weltkrieg in der deutschen Kolonialarmee diente, in den 20-ern und 30-ern in Deutschland in zahlreichen Filmen als Statist mitwirkte und schließlich von den Nazis wegen “Rassenschande” ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert wurde, wo er schließlich 1944 verstarb.
Die Tatsache, dass wir am Ende eher durch die Räume “Mode” und “Verflechtung” durchhetzen, zeigt schon, wie viel es hier zu sehen gibt. Tipp am Rande, wenn man so wie wir Zeitfenster für mehrere Programmpunkte bucht (ist grade wegen Corona notwenig), sollte man die empfohlenen 2 Stunden für den Besuch von “Berlin Global” einplanen.
Zugegeben, wir sind am Ende etwas erschlagen, ob der Fülle der Eindrücke und das eine Narrativ zu Berlin lässt sich kaum herauskristallisieren. Je länger ich darüber nachdenke, desto passender finde ich das allerdings. Die Ausstellung zeigt die verschiedensten Perspektiven auf die Stadt und die Macher haben Künstler, Aktivisten und Gruppen eingeladen, etwas zur Ausstellung beizutragen. Die Ausstellung hält auch weiterhin Freiflächen vor, für die sich Initiativen und Projekte bewerben können, um ihre Sichtweise zu präsentieren. Das passt zur Stadt und ihrer Vielfalt. Die Ausstellung lädt zum Mitmachen ein und ist multimedial, insgesamt wahrscheinlich das Modernste, was ich in Berlin bis jetzt gesehen haben. Hier wird Berlins Vergangenheit in den Blick genommen, aber der Bezug zur Gegenwart findet sich an vielen Stellen. Da das Ganze insgesamt wie eine große Spielwiese wirkt, dürfte sie besonders bei jungen Besuchern gut ankommen. Ich denke allerdings, dass auch Berlin-Kenner durch die Fülle der Erzählungen und Themen einiges Neues entdecken können.
Wir können natürlich noch nichts zu den anderen Ausstellungen im Humboldt-Forum sagen, aber mit der “Berlin Global”-Ausstellung hat die Stadt auf jeden Fall ein neues Highlight gewonnen.
Und wer sich am Ende nach den ganzen Eindrücken den Kopf durchpusten lassen möchte, ist hier ebenfalls richtig – einfach ab in den Fahrstuhl, hoch auf die Dachterrasse und den Blick auf unsere tolle Stadt genießen.
Und wer sich das Humboldt-Forum lediglich von außen anschauen möchte, ist auf einer unserer Highlights-Radtouren herzlich willkommen.
Infos Humboldt-Forum
Schlossplatz, 10178 Berlin
Mo, Mi, Do, So 10–20 Uhr
Fr, Sa 10–22 Uhr
Di geschlossen
Eintritt Ausstellung “Berlin Global”: 7 € für Erwachsene; für Kinder & Jugendliche unter 18 Jahre, Studierende und Schüler*innen frei
Der Eintritt ist in den anderen Bereichen bis auf Sonderausstellungen frei, es müssen aber gerade Zeitfenster-Tickets gebucht werden.